Familienkonzert

Dresdner Philharmonie punktet reihum

Ein erquickendes Stück Musikgeschichte, ein neues Werk mit kleinen Showeinlagen und ein Teil des Lieblingsrepertoires – lag es am Programm und den Gästen, daß die Dresdner Philharmonie am Wochenende schon Tage vor dem Konzert im Kulturpalast ausverkauft war? Oder trugen die Ferien dazu bei? Oder der »Konzertfinder«, der ein neu angelocktes Publikum digital zielgerichtet nun in die normalen Sinfoniekonzerte lotst? Vielleicht waren alle drei Gründe am Publikumszuspruch »schuld«. Auffällig blieb auf jeden Fall der hohe Anteil an jungen Leuten und Kindern, Familien oder Enkeln mit Großeltern. Auch musikalisch war es ein Drei-Generationen-Konzert.

Gewonnen haben dürfen letztlich alle. Schon deshalb, weil Kahchun Wong, Erster Gastdirigent der Dresdner Philharmonie, mit dem Orchester mittlerweile eng verbunden ist und mit einem »blind« gesetzten Handwisch bei Dvořák fokussieren kann – man versteht sich gegenseitig.

Benjamin Britten (1968), Bildquelle: Wikimedia commons

Ein anderes Verständnis verbindet Kahchun Wong mit dem englischen Komponisten und Arrangeur Colin Matthews. Beide erstellten aus Benjamin Brittens Ballettmusik zu »The Prince of the Pagodas« (»Der Prinz der Pagode« nach dem Stoff von King Lear) eine Suite, vielmehr eine Sinfonische Dichtung, in der man die Episoden ebenso imaginieren wie sich Brittens sinnlich-süffiger Musik hingeben konnte. Das allein war schon die Konzertkarte wert – Brittens Ballett findet man eher auf YouTube als auf einer Bühne. Selbst die online-Plattform Operabase vermeldet aktuell null Treffer!

Dabei ist die Musik geradezu köstlich, kitzelt mit einem Auftrittstableau und flächigem Klang zu Beginn. Die Dresdner Philharmonie ließ glatt vergessen, daß hier visuelle Eindrücke oder gar Tänzer fehlten – schien nicht die Oboe von Undine Röhner-Stolle zu tanzen? Die flinken Holzbläser huschten gleich mehrfach über die Bühne, derweil sich Streicher wie Schleier verbanden, aus denen Harfe, Celesta und allerlei Schlagwerke herausragten. Kahchun Wong formte daraus musikalisch tänzerische Eleganz, ließ die von Britten eingefangenen fernöstlichen Elemente amalgamieren (wie die Gamelanmusik in den Schlagwerken), fand aber auch für dynamische Übergänge und Änderungen des Klangvolumens eine ausgezeichnete Balance. So entdeckt man Musik – staunenswert! Britten war bewandert in den Formen, bei seinem schwelgerischen Pas de trois (bzw. dem der Philharmonie) hätte sicher auch Tschaikowsky applaudiert.

Für ein wenig Show sorgte Klarinettist Martin Fröst. Die beiden Streifen an seinem extravaganten Anzug standen vermutlich nicht für den Rang eines Ersten Offiziers, schließlich ist der Konzertsaal weder Schiff noch Flugzeug. Frösts Auftritt war denn in erster Linie musikalisch. Das »Weathered« (etwa: vom Wetter gezeichnet) betitelte Konzert für Klarinette und Orchester der britische Komponistin Anna Clyne hatte Martin Fröst vor knapp zwei Jahren uraufgeführt. Jetzt ist er damit unterwegs und etabliert es in den Konzertsälen, was löblich ist. Im Klang enthält das Stück gleichfalls manche Extravaganzen, läßt den Solisten »flöten«, Läufe auf- und abgleiten, manche Töne absichtlich rutschen und verlangt von der Klarinette vor allem eines: Agilität. Die bot Martin Fröst atemvoll. Das Orchester formte dazu Wellen, flocht Liedmotive (oder Zitate) ein, raunte, nahm manchen Faden erkennbar wieder auf.

Somit gelang ein rhapsodischer Umlauf mit mancher Intarsie, die Spannung hielt im großen und ganzen. Das entdeckungslaunige Publikum goutiert es zu Recht, nicht zuletzt die virtuose Leistung der Musiker, des Solisten wie des Orchesters, auch wenn sich ein Struktursinn oder eine Erklärung der »Elemente« in den fünf Sätzen (»Metall«, »Herz«, »Stein«, »Holz«, »Erde«) nicht aufdrängten. Letztlich überwog das reizvolle, was schon einmal wie ein kleiner Sieg für die zeitgenössische Musik war. Ob daraus ein bleibender Wert entsteht? Martin Fröst immerhin arbeitet daran … Auch das letzte Stück des Abends hatte angelsächsische Bezüge, obwohl Antonín Dvořáks neunte Sinfonie für uns heute eindeutig böhmisch klingt. Warum aber die erneute Hörgelegenheit nicht nutzen, um darin einmal wieder die Elemente »Aus der Neuen Welt« zu finden? Kahchun Wong machte das leicht, verwob die Fäden des Stücks kundig und durfte sich auf Solisten wie das geschmeidige Englischhorn (Isabell Kern) oder Trompete (Christian Höcherl) verlassen. Das erste Solo indes kam wieder von der Klarinette, diesmal allerdings mit Fabian Dirr.

20. Oktober 2024, Wolfram Quellmalz

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