Emmanuel Pahud im Kammerkonzert bei den Mendelssohn-Festtagen Leipzig
Vor knapp zwei Monaten hatte uns Emmanuel Pahud bei einem Konzert mit Olivier Latry im Dresdner Kulturpalast beeindruckt [unser Bericht: https://neuemusikalischeblaetter.com/2024/09/05/orgelkonzert-als-gesamtkunstwerk/]. Gestern gab es Gelegenheit, ihn im Leipziger Gewandhaus im Rahmen der Mendelssohn-Festtage zu erleben, als er zur Nachmittagsstunde im Mendelssohn-Saal ein Kammerkonzert mit wechselnden Partnern gab. Auf dem Programm stand neben Liedern von Felix‘ Schwester Fanny unter anderem Wolfgang Amadé Mozart, mit dem Felix Mendelssohn oft verglichen wurde. Die beiden Flötenquartette in A-Dur (KV 298) und das noch berühmtere in D-Dur (KV 285) führten Mozart launigen Spaß, besonders im Neckspiel des Allegro aus KV 285, besonders aus, nicht zuletzt, weil sich Flöte und das Streichtrio (Maja Avramović / Violine, Joaquín Riquelme García / Viola und Stephan Koncz / Violoncello) so eloquent gegenüberstanden. Oft ließen sie ein Thema reihum kreisen oder formten Gegensätze (bzw. das Gegenüber) hervor, wobei sich naturgemäß jenes Gegenüber von Flöte und Streichern besonders heraushob, etwa im Adagio des D-Dur-Quartetts, das einem Lied mit Pizzicato-Begleitung glich.
Emmanuel Pahud zeigte sich als versierter Spieler, der muntere Läufe beleben konnte und immer den noblen Ton blinken ließ, dem Witz ebenso zur Verfügung steht, wie er lange Kantilenen atmen läßt. Seiner Partner standen ihm da um kein Jota nach, was sich im letzten Stück des Abends noch verstärkt zeigen sollte.
Zuvor gab es, im »Sandwich« von Mozart, mit Heitor Villa-Lobos‘ Assobio a Játo für Flöte und Violoncello (W 493) einen Exoten der Kammermusikliteratur zu hören, der zunächst dem Cello die sonore Führung überließ. Stärker noch als bei Mozart gestaltete das Quartett hier die Wechsel, Emmanuel Pahud ließ die Flöte fliehend »fliegen« – so luftig hört man selbst dieses äolische Instrument selten! Dem getragenen Adagio mit hohem Atempuls folgte ein Vivo, dessen Expressivität bis hin zu wischenden Tönen in der Flöte immer mehr gesteigert wurde.

Mit fünf Liedern von Fanny Hensel gab es in der Bearbeitung für Flöte und Klavier einen interessanten Kontrast zur ureigenen Gattung der Lieder ohne Worte. Elena Bashkirova, die in einer ganzen Reihe von Konzerten der Mendelssohn-Festtage zu erleben ist, übernahm den Part der Begleitung und fand mit Emmanuel Pahud eine symbiotische Beziehung – eben wie Sänger oder vielmehr Sängerin und Klavier. Denn das flehende »Warum sind denn die Rosen so blaß« (nach Heinrich Heine) zum Beispiel verbindet man meist mit einer Sopranstimme. Emmanuel Pahud traf den flehenden Ton hier ebensogut, wie er bei »Im Herbste« (Emanuel Geibel) das bedächtige Innehalten formte. »Vorwurf« (Nikolaus Lenau) wiederum ließ die Frage aufkommen, wem der Vorwurf galt und weshalb. Das folgende »Du bist die Ruh« (Friedrich Rückert) changierte zwischen zaghaft und bebend, was nicht nur den Vergleich mit Franz Schuberts Vertonung reizvoll machte, sondern das Spannungsfeld zwischen innerer Stimmung und Text betonte – ganz im Sinn der Lieder ohne Worte.
Mit Antonín Dvořáks »Amerikanischem« Quartett endete das Konzert mit einer weiteren Bearbeitung, denn Stephan Koncz hatte das Werk für Flötenquartett eingerichtet. Und das ließ sogleich aufhorchen, mußte doch die Flöte das Tremolieren der ersten Violine übernehmen. Durch den Eingriff der Bearbeitung bzw. die Umbesetzung ist dem Stück fast ein neuer Charakter gegeben, denn auch hier ist einerseits das Gegenüber zwischen Flöte und Streichern stärker herausgestellt, andererseits war die Bläserrolle noch etwas solistischer, herausgehobener, auffälliger – das Quartett insgesamt »frühlingshafter«. Das Lento rückte am Beginn gar – ganz unamerikanisch! – in die Nähe von Faurés Fantaisie, während das beherzte Cello hier an Schuberts Streichquintett erinnerte. Überhaupt konnten gerade Joaquín Riquelme García und Stephan Koncz mit den dunklen Farben ihrer Instrumente glänzen.

Das fröhliche Vivace schloß den Abend noch nicht ab, denn für den Applaus gaben die vier Musiker noch einmal Mozarts Menuetto aus KV 298 zu.
4. November 2024, Wolfram Quellmalz