Reformationsvesper

Ensemble Polyharmonique feierte zehnjähriges Jubiläum in der Heilig-Geist-Kirche Dresden

Man könnte auch von »Belgische Trüffel« sprechen, denn offiziell ist das Ensemble Polyharmonique mit seinem Leiter Alexander Schneider mittlerweile in Belgien beheimatet. Hinsichtlich der hohen Qualität und des Schmelzes würde der Vergleich stimmen, nur das Attribut der Klebrigkeit würde gar nicht passen – lassen wir es also lieber.

Gegründet wurde Polyharmonique vor genau zehn Jahren in Dresden. Und dort, ganz nah dem Ursprungsort, kamen die Sänger mit ihrem »Herzensorchester« (Alexander Schneider), dem Wrocław Baroque Orchestra, unter der Leitung von Jaroslaw Thiel am Reformationstag wieder zusammen, um ihr Programm Dresden Vespers zu präsentieren und einen Komponisten des Sächsischen Hofes aufs Tableau zu heben, der meistens zu Unrecht vergessen oder in die zweite Reihe gerückt wird: Johann David Heinichen.

Daß Heinichen uns nur zum Teil erschlossen bleibt, liegt an den Zeitläufen, denn zunächst wurde er, schon unter Moritz Wilhelm von Sachsen-Zeitz, als Opernkomponist berühmt, reüssierte zwischen 1710 und 1717 sogar in Venedig. Nach Dresden empfohlen, komponierte er Kantaten und szenische Serenaten, doch seine Oper »Flavio Crispo« blieb nach einem Opernstreit (und der Entlassung der gesamten italienischen Operntruppe durch August den Starken) unaufgeführt. So sind uns vor allem jene geistlichen Werke überliefert, die in der Folge entstanden, wie die Vespermusiken.

Ihr Reichtum indes ist übergroß und bot musikalisch, was die in der Dunkelheit leuchtenden Fenster der Heilig-Geist-Kirche den ankommenden Besuchern versprochen hatten. Das Ensemble Polyharmonique war mit acht Sängerinnen und Sängern (Magdalena Harer und Joowon Chung / Sopran, Alexander Schneider und Jaro Kirchgessner / Alt, Johannes Gaubitz und Fabian Kelly / Tenor sowie Matthias Lutze und Felix Rumpf / Baß) angereist und zeigte sich beständig wandelbar, war eben noch ein geschlossener, homogener Chor, dann ein Vokalensemble aus acht individuellen Stimmen, aus denen sogleich Solisten hervortraten. Somit lagen schon bei Johann Sebastian Bachs Motette »Singet dem Herrn ein neues Lied« (BWV 225) Freude und stille Einkehr innerhalb der ersten beiden Strophen nah beieinander – eine tolle Einstimmung!

Noch beeindruckender und in seiner Vielfalt berückender wurde es in den Vespern. Je nach Text traten auch hier Jubel (Dixit Dominus / So hat der Herr gesprochen, SeiH 44) und Andacht (Confitebor tibi Domine / Ich danke dem Herrn, SeiH 32) hervor. Immer dann, wenn Polyharmonique nicht geschlossener Chor, sondern Vokalensemble war (was auf die meisten Stücke zutraf), konnte man die individuellen Stimmen heraushören. Manche, wie Magdalena Harers Sopran, boten zudem eine mühelose Überhöhung aus der Gruppe heraus. Demgegenüber bot Felix Rumpf sozusagen noch eine Portion extra Volumen und Tiefe. Trotzdem bleib Polyharmonique – wie es der Name verspricht – harmonisch verbunden, verfügte zum Beispiel mit Johannes Gaubitz über eine sichere Basis – wobei hier eigentlich alle acht Namen und ihre jeweils Ausdruckskraft genannt werden müßten.

Das Wrocław Baroque Orchestra, dessen Leiter hier die Führung übernommen hatte, bot mit alten Instrumenten wie erfrischenden Originalklang, unterstrich diesen durch Stil und Form, etwa prägnante Streicherfiguren auch einmal ohne Bläser, wie in Alma redemptoris Mater (Erhabne Mutter des Erlösers, SeiH 23). Marcin Szelest an der großen Eule-Orgel nahm dem Orchester »gegenüber« Stellung, fand mit ihm dabei zum Dialog oder fügte sich in sein Ensemble.

Nicht zu vergessen: Heinichens Vespern, die das Ensemble Polyharmonique mit vor einiger Zeit auf CD aufgenommen hat, erklangen hier (zumindest einige) vielleicht zum ersten Mal seit 300 Jahren! Jan Dismas Zelenkas Da pacem Domine (Verleih uns Frieden gnädiglich) gebührte der festliche Abschluß.

Ähnlich wie heute, wenn Besucher am Weihnachtstag die Christvesper der Kreuzkirche besuchen, welche von Rudolf Mauersberger gestaltet wurde, war es früher schon üblich, solche Anlässe liturgisch-musikalisch zu gestalten. Rogier Michael, ein Vorgänger Heinrich Schütz‘ hat eine der ersten Weihnachtshistorien überhaupt verfaßt. Sie ist auf der neuen CD des das Ensemble Polyharmonique »Christvesper Dresden 1624« neben anderen Werken von Melchior Franck, Michael Praetorius, Johannes Eccard, Samuel Scheidt und anderen enthalten (erschienen bei cpo).

1. November 2024, Wolfram Quellmalz

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