Aufführung der Landesbühnen Sachsen zum Jahreswechsel
Die vielerorts alljährlich praktizierte Aufführung von Ludwig van Beethovens neunter Sinfonie zu Silvester wollte Dirigent Ekkehard Klemm nicht zu einem »Ritus hymnischer Selbstvergewisserung« verkommen lassen, sondern versucht, seit er 2017 die Reihe mit den Landesbühnen Sachsen übernommen hat, Beethoven in einen Kontext zu unserer Zeit zu stellen. Insofern wurde der »Ritus«, der für manche Besucher sicher trotzdem im Konzertbesuch am Jahresende besteht, ergänzt, denn es gibt stets ein Werk der Gegenwartsmusik zu hören.
Diesmal hatte sich Ekkehard Klemm für »Wind« der Komponistin Karoline Schulz entschieden. Das Stück war 2019 im Rahmen des Projektjahres »Naturklang-Klangnatur« für das KlangNetz Dresden entstanden und im Hygienemuseum von der Sinfonietta Dresden uraufgeführt worden. Am Sonnabend vor einer Woche (mit einer Wiederholung am Silvestertag in der Lutherkirche Radebeul) gab es in der Auferstehungskirche Dresden-Plauen eine Wiederaufführung mit der Elbland Philharmonie Sachsen. Überfordert haben dürfte das Werk kaum jemanden, denn Karoline Schulz ist daran gelegen, nicht für ein Fachpublikum zu schreiben, sondern verstanden zu werden.

»Wind« entführte die Zuhörer in eine zunächst unbestimmte Welt – die Aufnahmen vom Band hätten genausogut Wellen sein können, doch mit ihrem brausenden Anwachsen gab sich der rauschende Wind bald zu erkennen. Er wirkte quasi wie ein Impulsgeber, auf den zunächst Streicher mit Einwürfen antworteten, Schlagwerke äolisch angeregt wurden. Erst danach setzten manche Bläserstimmen kleine Soli, während das Orchester Bögen (oder Böen) formte. Übergreifend, raunend gestaltete Ekkehard Klemm einen Sound, der sich erneut mit der Bandaufnahme vereinigte, sich neu verzweigte. Einzelne Elemente drangen wie von Ferne durch, versteckte Fanfaren zum Beispiel.
Der Kontext ließ sich dazu ebenso leicht wie weit aufspannen und schloß das zu Ende gehende Jahr der Romantik mit Caspar David Friedrich ein. In der Tat hatte die Elbland Philharmonie mitKaroline Schulz dabei einen Anfangsimpuls gesetzt, der Beethoven durchaus neu hören ließ – war dessen Einleitung mit Hörnern und Tremoli nicht auch dem Wind entlehnt? Und wie urtümlich-romantisch hatte er den tumultischen Beginn des vierten Satzes gefärbt!
Für Ludwig van Beethovens Sinfonie traten als Hauptakteure der Chor der Landesbühnen Sachsen (Einstudierung: Daniele Pilato) sowie die Singakademie Dresden e. V. (Einstudierung: Michael Käppler) hinzu – beides bewährte Partner bei diesem Anlaß. Auch die Solisten stammten aus den Reihen der Landesbühnen: neben Anna Maria Schmidt (Sopran) zählten Yiva Gruen (Mezzosopran), Aljaž Vesel (Tenor) und Dániel Foki (Bariton) dazu.
Zunächst blieb das Orchester der Elbland Philharmonie aber noch allein tonangebend. Und den traf es überraschend kernig, greifbar – wie vom Wind geformt. Ekkehard Klemm erzeugte schon früh eine Spannung, etwa durch die leisen, »unter« den Bläsern liegenden Streicher. Diese Spannung sollte später noch das Adagio tragen. Die Bläser schienen zunächst von einem Aufbruch zu künden, das wiederholte Anfangsmotiv gewann an Konturschärfe – Blitze wie auf einem Bild von Caspar David Friedrich? Und klangen da nicht die aufstrebenden Holzbläser aus dem Scherzo der fünften Sinfonie?
Auch die hellen Paukenschläge im zweiten Satz trugen zu solchen Strukturanteilen bei. Konturen und ein rhythmischer Puls blieben bestimmend, während die Homogenität des Orchesters nachließ, wenn sich alle Gruppen zusammenschlossen, die Bläser gar übermächtig wurden. Der idyllischen Fluß des Adagio wurde mit dem »Wachet-auf«-Motiv beendet und führte in einen energiegeladenen Ausbruch, freilich ging dies ein wenig auf Kosten der Kräfte, vor allem der beiden Chöre, auch wenn sie dicht zusammengeschlossen waren. Schön gelangen die Steigerung bei der Wiederholung des »Freude«-Textes sowie der folgende fugierte Einsatz. Im weiteren Verlauf gingen beide Chöre aber durchaus an die Grenze – etwas weniger kräftig hätte genügt, wohl mehr Gestaltungsspielraum geboten. Die Solisten, allen voran Dániel Foki und Aljaž Vesel, konnten sich dennoch klar durchsetzen, auch Anna Maria Schmidts Sopran verlor trotz enormer Strahlstärke nicht an Schönheit.
28. Dezember 2024, Wolfram Quellmalz