Klang und Rhythmus

Cristian Măcelaru und die Dresdner Philharmonie mit Mahlers Sechster

Ein wenig überlastig scheinen die Konzertprogramme derzeit schon, wenn man sich anschaut, wie oft Mahler-Sinfonien bei verschiedenen Orchestern oder Veranstaltern erklingen. Doch Mahler lockt eben auch Publikum an, zeigte sich am Wochenende wieder bei der Dresdner Philharmonie im Kulturpalast.

Oder lag es daran, daß Dirigent Cristian Măcelaru hier schon mehrfach erfolgreich Werke durchlüftet und sein Händchen für rhythmische Prägnanz und Klang bewiesen hat? Wenn es eines solches Beweises noch bedurft hätte – spätestens jetzt wäre er erbracht! Denn Măcelaru stapelte keineswegs zu hoch, als er Gustav Mahlers fast neunzigminütige sechste Sinfonie, die allein auf dem Programm stand, auf die Bühne wuchtete. Genau diese Wucht hatte das, was für die Orientierung grundlegend ist: Anfang und Ziel.

Und Schicksalsschläge, die Mahler mit einem eigens erdachten Hammer niederfahren läßt. Die großen Orchester haben das riesige Instrument allein für dieses Werk in ihrem »Geräteschuppen«. Da fragt man sich, welches Schicksal Mahler denn wirklich »gesehen« haben mag. Was später folgen sollte, die wirklichen Schicksalsschläge (Tod der Tochter, Entlassung an der Wiener Hofoper …) konnte erschlecht voraussehen oder ahnen. Liegt es da nicht näher, daß der Komponist in dieser glücklichsten Lebensphase mit genau diesem Glück haderte, Angst hatte, es stünde ihm nicht zu und könne nicht ohne schwere Folgen bleiben?

Cristian Măcelaru am Pult der Dresdner Philharmonie, Photo: Dresdner Philharmonie © Oliver Killig

Wie so oft sollte man sich hüten, persönliches Leben (das wir von außen und im nachhinein interpretieren) und Werk zu dicht zu verweben. Richtig ist, daß Mahler das Orchester forsch voranschreiten, den Marschrhythmus später wiederkehren läßt. Schon hier zeigte sich einer der Vorzüge von Cristian Măcelaru: er kann diese Rhythmik differenziert ausleben, kann Grade unterscheiden und legt damit eine Emotionalität in das Auf und Ab des Verlaufes. Damit warf er nicht nur Schatten, er setzte ein Fragezeichen über das scheinbare Idyll des zweiten Satzes (oder ist es ein trügerischer Schlaf?). Nicht lange, und Mahler läßt die Tonleitern abgleiten, die Harfensaiten anreißen, daß sie hart, fast schmerzvoll klingen, als schlage der Sänger eines Klageliedes eine riesige Laute …

Immer wieder flohen Soli durch den Raum. Hornist Michael Schneider war im Dauereinsatz und fand mit Konzertmeisterin Heike Janicke zum Duo, die Baßklarinette trat hervor, mehrfach klangen Glocken aus dem Hintergrund. Nicht erst, als diese mitten im Orchestertutti aufgingen, zeigte sich, daß da kein Idyll war, sondern eine fragile Konstruktion – ein Seelenbild? So kehrten einst fröhliche Themen trotzig oder sarkastisch wieder.

Getragen wurde dies vor allem durch die rhythmische Emotionalität, die bald schon eine zweite Ebene in sich offenlegt, die anzeigt, wie glaub- oder fragwürdig solche Gefühle sind. Überschäumende Freude (Anfang)? Der Optimismus schien aufgesetzt, aufgeladen, die von der Celesta eröffnete Traumwelt flüchtig, »unzuverlässig«. Mahlers Erlebniswelt kommt nicht ins Zagen, erfährt aber Irritationen, gegen die sie sich aufbäumt – auf den zweimaligen »Hammer« folgte ein dreifacher Beckenschlag wie ein Tusch.

Dabei blieb es nicht allein rhythmisch – der Marsch gab mehr den Charakter an, als daß er trieb, für Bewegung sorgte. Cristian Măcelaru nutzte nicht nur die dynamische Bandbreite von Auf- und Abstieg oder Stufung, er trennte auch Abschnitte in Episoden.

Cristian Măcelaru am Pult der Dresdner Philharmonie, Photo: Dresdner Philharmonie © Oliver Killig

Und doch folgte er damit keiner linearen Erzählung. Cristian Măcelaru ließ die Dresdner Philharmonie immer wieder amalgamieren, so daß nicht ein Werk oder Gipfel, sondern eher ein Seelenzustand geschildert wurde – schicksalhafte Schläge gab es fast immerzu (Doppelpauken). Doch der Seelenzustand war höchst angeregt, lebendig, als lehnte sich jemand auf. Indes – er konnte nicht in Ruhe verweilen, weder zum Genießen noch zum Zurückblicken. Etwas trieb ihn an und um. Letztlich war es ein ambivalentes Gebilde, das zeigte, daß hier nicht die Gesetze von Actio = Reactio gelten. Die Schicksalsschläge wurden abgewendet (Trotz), ein Aufschwung schien nahe, doch die Blechbläser formten einen traurigen Choral. Schlag auf Schlag ging das – aber der Nachklang am Ende machte auch nachdenklich.

19. Januar 2025, Wolfram Quellmalz

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