Nacht, Nebel und Party

Kammerabend der Sächsischen Staatskapelle

Regelmäßig nutzt die Sächsische Staatskapelle den Spielraum im Rahmen ihrer Kammerabende in der Semperoper für Experimente, sowohl vergessenes oder übersehenes Repertoire betreffend wie Grenzen überschreitender Künste. So gab es bisher neben manchen musikalischen Funden schon häufig etwas zu sehen, oder ganz ungewöhnliche Klänge und Solisten standen auf der Bühne. In Erinnerung sind besonders die Programme für Schlagwerker oder mit Live painting.

Am Donnerstag kreuzten sich Erzählungen bzw. im Text festgehaltene szenische Bilder mit deutscher und französischer Kammermusik. Den Auftakt gestalteten André Caplet und Edgar Allan Poe, wobei der amerikanische Autor, der mit seinen Schauergeschichten ein Genre ganz wesentlich prägte, zunächst sogar den Vorrang hatte. Denn André Caplets Conte fantastique d’après »Le Masque de la Mort Rouge« d’Edgar Allan Poe erzählt musikalisch Poes »Die Maske des roten Todes« im wesentlichen nach. Die Lesung selbst, welche glücklicherweise mit geboten wurde, rahmten zunächst sehr kurze instrumentale Ein- und Überleitungen, die jedoch genügten, um eine Stimmung aufkommen zu lassen. Wohlgemerkt nicht eine illustrative, wie schauerliche Filmmusik, sondern ein »Rahmen«, den Caplet für seine Aufführung geschaffen hat.

Illustration zu »Die Maske des roten Todes« von Aubrey Beardsley (1894), Bildquelle: Wikimedia commons

Christian Gaul erwies sich als hervorragender Erzähler, der aus der rechten Proszeniumsloge las. Ein angemessener Vortrag, eine Rezitation, ist tatsächlich eine eigene Disziplin und läßt sich nicht beliebig durch einen Schauspieler darstellen. Christian Gaul hat jedoch sowohl Erfahrung als Synchronsprecher wie mit Hörspielen und wußte einen spannenden Erzählfluß durch ausgewählte Betonung punktuell zu steigern, etwa um die Mißbilligung, die das Auftauchen der roten Maske auf dem bacchantischen Ball des Prinzen Prospero erregt, hervorzuheben oder das unheilverkündende dumpfe, wuchtige Pendel der Uhr im schwarzen Salon darzustellen.

Margot Gélie (Harfe) ließ den Uhrschlag auch musikalisch hallen, mit Yuki Manuela Janke und Michail Kanatidis (Violinen), Marcello Enna (Viola) und Teresa Beldi (Violoncello) erzählte sie Poes Text anschließend noch einmal, etwas moderner im Vergleich zur zeitgenössischen Musik des Amerikaners, was dem Komponisten mehr Aufmerksamkeit bescherte. Stillstand und Abgrund – gespenstisch, feurig, mit Todesseufzern entließ das umfassende Werk nach einer Dreiviertelstunde das Publikum in die Pause.

Die Besetzung war im zweiten Teil eine vollkommen andere: Die Dresdner Kammerharmonie mit Andreas Kißling (Flöte), Bernd Schober (Oboe), Wolfram Große (Klarinette), Joachim Hans (Fagott) und Robert Langbein (Horn) sorgte mit einem weiteren Gast, Liam Dugelay am Klavier, für eine Beleuchtung anderen Repertoires. Mit dem Sextett B-Dur Opus 6 von Ludwig Thuille stand zunächst ein Komponist im Mittelpunkt, der oft nur wegen seiner Freundschaft mit Richard Strauss und als Fußnote erwähnt und bis heute zwischen »Brahminen« und »Wagnerianern« aufgerieben wird. Dabei sollte man doch jetzt seine musikalischen Einfälle einfach vergnüglich anhören – hier war es einmal möglich. Und siehe da, neben Theodor Fürchtegott Kirchner oder August Klughardt darf Thuille gerne als Repertoirebereicherung bestehen (auch wenn er dort keinen Spitzenplatz einnimmt).

Ludwig Richter »Auf Bergeshöhe« (Zeichnung, um 1840), Kunst Museum Winterthur | Reinhart am Stadtgarten, Sammlung Dr. Oscar Reinhardt, Winterthur, Bildquelle: Wikimedia commons

Viel wichtiger war der Reiz, den das Zusammenspiel der ungewöhnlichen Besetzung offenbarte. Nach den romantischen Gefilden, die dialogische Szenen, unterschiedliche Rollen des Klaviers (als untermalender Begleiter und perkussive Betonung) und das Verschmelzen der tiefen Stimmen von Horn und Fagott bot, reichten die Kapellmusiker und ihr Gastpianist mit Jean Françaix und Francis Poulenc zwei französische Erfrischungen. Die Seufzer in Françaix‘ »L’heure du berger« (»Das Schäferstündchen«, mancher vermißte hier den lustvollen Lesungsteil) waren wohl eher den Pariser Cafés zuzuordnen, mit denen die Nacht (bzw. das Stück) aber begann und nicht endete. Von hier ging es in typisch Françaix’schen Parcours mal mit führender Klarinette, dann Oboe, und der sinnlichen Hast purzelnder Achtel und Sechzehntel durch die drei Sätze. Francis Poulencs Sextett für Bläserquintett und Klavier folgt einer ganz anderen Klangsprache, ist weniger »launig«, entwickelte in seinen quasi symmetrisch aufgebauten Sätzen aber ebenso rasante Umschwünge zwischen getriebenem, vom Fagott »aufgeheizten« Perfektum mobile und ermatteter Ruhe, dem wiederum Pariser Klänge incl. Autohupen zu folgen schienen.

24. Januar 2025, Wolfram Quellmalz

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