Gedenkkonzert in der Marienkirche Pirna
Am Vorabend des Holocaust-Gedenktages trafen sich die Neue Jüdische Kammerphilharmonie (NJK) mit ihrem Leiter Michael Hurshell und zahlreiche Vertreter aus Politik sowie der Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein in der Stadtkirche Marien. Ein Gedenkanlaß mit gleichviel Musik- und Wortbeiträgen, der entsprechend viel Verbindendes zeigen sollte. Das begann mit den Musikern der NJK, die im Altarraum der Kirche spielten, in dem noch die Zeichen des christlichen Weihnachtsfestes (Bäume und Herrnhuter Sterne) leuchteten. In diesem Miteinander wurde der Konzerttitel »Die Musik nach Hause bringen« sozusagen sinnbildlich.
Michael Hurshell hatte Musik jüdischer Komponisten ausgewählt, die zu unterschiedlichen Zeiten entstanden ist, von Felix Mendelssohn (19. Jahrhundert) bis zu Miklós Rózsa, der dem Holocaust durch Emigration entgangen war. Seinen Namen kann man stellvertretend sehen für zahlreiche jüdische Musiker und Komponisten, die nach Amerika auswanderten und dort unter anderem die Orchesterkultur (bis heute!) nachhaltig prägten. Viele der Komponisten fanden ein neues Tätigkeitsfeld in der Filmmusik, was aber oft dazu führte, daß sie generell als Filmmusikkomponisten angesehen werden und ihre klassischen Kompositionen vergessen werden. Ein Ausschnitt aus Rózsa Streichquartett Opus 22 (Bearbeitung für Streichorchester: Michael Hurshell), 1950 geschrieben, war ein Beispiel gegen dieses Übersehen oder Überhören, dem hier aber entgegengewirkt wurde.

Überhaupt hatte die Musik viel verbindende, Umfangendes. Das Andante aus dem »Tryptique« (Triptychon) von Alexandre Tansman zum Beispiel, oder Franz Schrekers Scherzo für Streichorchester waren von einem friedlichen, inneren Puls geprägt, der nicht rhythmisch treibend, sondern mit den tiefen Streichern tragend wirkte. Beeindruckend erhob sich »Al naharot bavel« (An den Strömen zu Babel), eine Tondichtung von Marc Lavry, erhob sich beeindruckend aus dunklen Sphären, als würde es eine Ruinenlandschaft zeigen, in helle, hoffnungsvolle Gefilde – ein Beispiel und erneut sinnbildlich für den an diesem Abend vorherrschenden Geist gegen das Vergessen, aber auch für Versöhnung.
Dazu trugen die Wortbeiträge bis zu Sophia Glaner bei, der jüngsten Rednerin, die nach einem FSJ heute für die Stiftung Sächsische Gedenkstätten arbeitet und darauf hinwies, daß Besucher, die nach Pirna kommen, oft gar nichts wissen von der dunklen Seite der Festung Sonnenstein, während jeder beim Namen Auschwitz zuerst an das Konzentrationslager und nicht an die Stadt denke.
Auf Sonnenstein waren aber fast 15000 Menschen in einer perfiden Versuchsanstalt umgebracht worden, um die »Methoden« zu erproben, die später in den Konzentrationslagern noch massenhafter angewandt wurden.
Gegen das Vergessen hatte sich schon Brigitte Lammert, Superintendentin des Kirchenbezirks Pirna, ausgesprochen, die meinte, daß die Aufarbeitung eigentlich erst beginne und sie selbst beschämt auf die Rolle der Kirche bzw. mancher der damaligen Amtspersonen sehen müsse – ihren Amtsvorgänger damals bezeichnete sie als glühenden Nazi-Anhänger. Dr. Markus Pieper, Geschäftsführer der Stiftung Sächsische Gedenkstätten, hatte das Wort der zurückzugewinnenden Vielfalt geprägt, zu dem dieses Konzert beiträgt und die historischen Ereignisse noch einmal dargestellt. Er bedankte sich für die Teilnahme so wichtiger Personen wie Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer, der zudem die Schirmherrschaft übernommen hatte, oder Nizar Amers, Gesandter-Botschaftsrat der Israelischen Botschaft in Berlin.
Deshalb sollen hier auch noch einmal Worte wiedergegeben werden. Michael Kretschmer freute sich darüber, daß an diesem 80. Jahrestag so viele Menschen gekommen waren und daß die Arbeit der Stiftung Sächsische Gedenkstätten, wie durch die Gedenkspur der bunten Kreuze (von der Elbe durch die Altstadt bis zum Sonnenstein), wahrgenommen werden kann. Und das sei wichtig: der Respekt vor der Geschichte dürfe nicht weniger werden, Werte und Moral wiederum könne man aber nicht vererben, sondern müsse es beständig erschließen.
Nizar Amer bedankte sich bei seinem Vorredner, den er als wahren Freund von Israel bezeichnete, für seine konstanten Bemühungen um ihrer beider Beziehung, strich aber auch die Beteiligung und Bemühungen der Bürger an der Gedenkstätte heraus. Neunzehnhundertachtundvierzig sei der Staat Israel gegründet worden, damit Juden nie wieder verfolgt und getötet würden. Der 7. Oktober 2023 habe gezeigt, daß dies jedoch bedroht sei.
Daß nur die Auseinandersetzung mit der Geschichte, Verständigung und Versöhnung den Weg in die Zukunft bereiten, hatten Redebeiträge und Musik deutlich gezeigt. Das Andante (mit einem Gestus von »Verleih uns Frieden«) und Allegro aus Felix Mendelssohns zwölfter Streichersinfonie, stand dafür am Ende noch einmal Pate.
27. Januar 2025, Wolfram Quellmalz
Die Neue Jüdische Kammerphilharmonie hat auch in diesem Jahr ein vielfältiges Programm, zu dem neben Schülerkonzerten eine Beteiligung am Kulturhauptstadtjahr in Chemnitz gehört (Termine in Vorbereitung).