Der Mahler-Verführer

Daniele Gatti und die Sächsische Staatskapelle sorgen im Sinfoniekonzert für einen Mahler-Höhepunkt

Nachdem im Sonderkonzert »Natur pur« bereits fünf der Wunderhorn-Lieder von Gustav Mahler erklungen waren, erlebten die Zuhörer in der Semperoper am Sonntag mit den verbleibenden sechs der vom Komponisten orchestrieren Lieder einen Vormittag, den man getrost als »Kapelle pur« hätte bezeichnen können. Zwar mag man die Nase rümpfen ob der vielen Mahler-Wiederholungen in Dresden, Leipzig und eigentlich überall (bis hin zu den Dresdner Musikfestspielen), doch zeigte sich eben auch: Daniele Gatti versteht es, selbst standhafteste Mahlerverächter zu betören, so daß sie vielleicht über eine Umkehr nachdenken.

Hingabe: Daniele Gatti dirigiert die Sächsische Staatskapelle, Photo: Sächsische Staatskapelle Dresden, © Jörg Simanowski

Dabei schöpft er offenbar aus einem Vertrauen, daß viel größer ist als die kurze Zeitspanne seiner ersten Spielzeit als Chef es vermuten läßt (immerhin kommt er aber seit Jahren bereits als Gast). Erneut fiel auf, daß Daniele Gatti auf eine Basis sorgsamer Erarbeitung und Proben aufbauen kann – viele seiner Gesten schienen eher korrigierend. Im allgemeinen sind solche Korrekturanweisungen keine Zeichen für Fehler, sondern für Verläßlichkeit, daß die wesentlichen Komponenten stimmen und man sich auf die Feinjustierung konzentrieren kann.

In den engen, symbiotischen Verbund von Orchester und Dirigent waren diesmal zwei Sänger eingeschlossen, die ihrerseits mit einer Lied- und Mahlerexpertise überzeugten: Bariton Christian Gerhaher wandte sich vor der Pause den Wunderhorn-Liedern zu, Sara Blanch (Sopran) übernahm in Mahlers vierter Sinfonie den mit Versen ausgestalteten vierten Satz.

Erdenschwere: Christian Gerhaher vertieft Mahlers Lieder über Soldatenleben und Tod, Photo: Sächsische Staatskapelle Dresden, © Jörg Simanowski

Christian Gerhaher weiß, wie man aus dem Stand und auf den Punkt Präsenz schafft. In diesem Fall allerdings eine inhaltlich leicht getrübte, denn nach den Naturliedern im Sonderkonzert waren nun jene an der Reihe, die aus dem tragischen Soldatenleben oder vom Tod künden. Düster, trauernd, in wehmütiger Erinnerung, aber auch schwankend, im Zweifel. Selbst in diesen Ballung sorgte dies trotzdem nicht für einen Abwärtsstrudel oder bitteres Versinken, vielmehr zeigten Gerhaher und Gatti Ambivalenzen auf, denn das Leben und die Liebe waren in den Texten immanent, auch wenn das eine tragisch verlosch (»Das irdische Leben«) und die andere (»Wo die schönen Trompeten blasen«) nicht stattfinden durfte, weil Soldaten Abschied nehmen – Wiederkehr fraglich.

Wenn ein Text dann so verständlich, einfühlsam, klar vorgetragen wird, so vielschichtig in den Abstufungen, dann ist das nicht allein dem Inhalt nach fatal (»Lied des Verfolgten im Turm«), es geht einfach unter die Haut, ist nicht betrübend, sondern erschütternd, selbst wenn man das Lied schon oft gehört hat (Kindertod in »Das irdische Leben«). Daniele Gatti hielt die Staatskapelle sorgsam im Zaum, so daß sie den Gesang niemals übertönte, ihm aber feine Soli beisteuerte. »Wo die schönen Trompeten blasen« leiteten die Trompeten ein, die mit Dämpfer klangen, als riefen sie den Soldaten aus weiter Ferne ins Feld, die Holzbläser hielten ihn und seine Liebste zärtlich umschlossen. Ob er zurückkehren und mit ihr glücklich werden wird? Fraglich, ungewiß – noch eine Ambivalenz.

Da gab es keine Ausflucht, keine Lösung, aber vielleicht Erlösung? Als Quasi-Zugabe hatten Christian Gerhaher und Daniele Gatti dem verlorenen »Der Tamboursg’sell« (er wird hingerichtet) noch das »Urlicht« aus der zweiten Sinfonie hinzugefügt, in dem der Text seine Zuflucht bei Gott sucht: »Wird leuchten mir bis in das ewig selig Leben!«

Fokussierung: Mit Sara Blanch gewann Mahlers vierte Sinfonie an Kontur, Photo: Sächsische Staatskapelle Dresden, © Jörg Simanowski

Die Verkündung »Wir genießen die himmlischen Freuden« im letzten Satz der vierten Sinfonie erscheinen zunächst hoffnungsvoller, freudiger, der Text entpuppt sich jedoch als nicht frei von Grausamkeit (immerhin wird das Lämmlein zum Metzger Herodes geführt). Unabhängig davon zeigte sich die Sächsische Staatskapelle hier aber von ihrer verführerischsten Seite und hatte – noch ein Indiz für gegenseitiges Vertrauen – wohl auch die Freude am Spiel. Die Vielstimmigkeit der Streicher und Bläser reichte bis in die Glöckchen, wahrte von Beginn eine Liedhaftigkeit. Die Violoncelli von Sebastian Fritsch und Friedrich Christian Dittmann übernahmen im Paarlauf das Thema der Hörner, ein satter Harfenton rundete dies ab, dann formte sich ein Trio aus Klarinette, Oboe und Fagott – und manchmal schien etwas Ironisch zu zwinkern.

Das Adagio, vom Komponisten zu klebrig geschrieben (sagt der Mahlerskeptiker), klang hier ungemein luftig! Das Schweben war jedoch im vierten Satz zu Ende. So sollte es auch sein, führen hier doch viele »Fäden« zusammen, die zuvor gesponnen wurden. Mit Sara Blanch und dem Orchester schien der Klang sofort kompakter, direkter, aufgeweckter als noch zuvor. Wie schön, daß die Sopranistin ihrem Kollegen in Sachen Verständlichkeit nicht nachstand, mühelos in dramatische Sprünge und Tempowechsel fand. Am Ende durften sie und die Staatskapelle das Programm besänftig beenden. Ein Uhrschlag von der Harfe – nicht der letzte, hoffentlich!

2. März 2025, Wolfram Quellmalz

Hinterlasse einen Kommentar