Alles eine Frage des Klangs

Im Leipziger Gewandhaus am Freitag tönte neben Bruckner auch die Orgel

Für das Große Concert im Leipziger Gewandhaus am vergangenen Wochenende hätte an sich Anton Bruckners siebente Sinfonie genügt. Mit über einer Stunde Länge und ihrer musikalischen Vollkommenheit ist sie Aussage genug. Die Besucher des Freitagskonzertes kamen jedoch in den Genuß eines kleinen Extras, denn die Gesellschaft der Freunde des Gewandhauses e. V. übergab bei dieser Gelegenheit eine Erweiterung der Kleinen Saalorgel an das Haus und Gewandhausorganisten Michael Schönheit. Daß der Vorstandvorsitzende der Gesellschaft versehentlich (?) den »Mitgliedern und Mitgliederinnen« dankte, war wohl eher kein Scherz (das wäre in diesem Zusammenhang unpassend gewesen), sondern eine jener Unbedachtheiten (Anbiederung wollen wir nicht unterstellen), mit der sich grammatikalische Fauxpas leider immer häufiger einschleichen und die an sich gutgemeinte Intension konterkarieren – bedauerlich!

Das Instrument der Dresdner Orgelwerkstatt Wegscheider war in einer ganzen Reihe von durch Sammlung der Freunde finanzierten Anschaffungen (unter anderem: ein Konzertflügel, eine Konzertharfe) mit knapp 200.000 Euro die bisher größte Investition. Nun wurde der Orgel ein zusätzliches Modul mit einem Subbaß 16‘ hinzugefügt, den Michael Schönheit sogleich vorführte. Der Subbaß tönt nicht einfach tief, er kann wesentlich zur Klanggestaltung beitragen, wie der Gewandhausorganist vorführte, etwa, wenn man ihn im Flötenregister spielt. In Johann Sebastian Bachs Piece d’Orgue durfte die Registererweiterung dann im Kontrast und als Klangerweiterung wirken.

Feierliche Übergabe: Gewandhausdirektor Andreas Schulz, Prof. Wolfgang  Schreiber (Vorsitzender des Freundeskreises) und Michael Schönheit, Gewandhausorganist, mit der ergänzten Kleinen Saalorgel von Wegscheider, Photo: Gewandhaus zu Leipzig, © Gert Mothes

Der Subbaß der Orgel entspricht in etwa der Kontrabaßgruppe im Orchester, hatte Michael Schönheit erläutert. Das paßte im eigentlichen Sinne der Musik also sehr gut zu Anton Bruckner, denn das Formen und Gestalten eines Klangs ist für den Jubilar des Vorjahres (200. Geburtstag) doch ebenso maßgebend wie charakteristisch, wie man sogleich wieder erfahren durfte. Der Gedanke, daß die Instrumentengruppen eines Orchesters Orgelregistern entsprechen, liegt gerade bei Bruckner nicht nur nahe, sondern ist berechtigt, schließlich war Bruckner nicht nur Domorganist in Linz, sondern in diesem Metier und speziell wegen seiner Improvisationen höchst geschätzt.

Solche Gedanken kamen am Freitag wieder auf, als die Violoncelli aus dem flirrenden Streichertremolo mit einem an die Hörner erinnernden Klang heraustraten, den kurz darauf die echten Hörner erwiderten. Trotz bald folgender Steigerungen, trotz großen Blechbläserapparats mit Wagnertuben, behielt das Gewandhausorchester noch im Forcieren Leichtigkeit und Eleganz. In den Klang eingeschlossen waren kantable Soli, vor allem der Holzbläser (großartig: Flöte und Klarinette!), während Trompeten und Posaunen die Gipfelpunkte markierten oder einen rhythmischen Puls setzten. Das gewährte eine Transparenz und Durchhörbarkeit, die Freude machte, etwa wenn man nachvollziehen konnte, wie Bruckner mit einer fallenden Motivfigur in der Wiederholung Steigerungen beschrieb. Mit dem Ruf der Klarinette wendet sich das Allegro ins majestätische.

Herbert Blomstedt, wiewohl er von Konzertmeister Sebastian Breuninger ans Pult geführt wurde und im Sitzen dirigierte, schien in seinen Bewegungen ausnehmend lebhaft, die Leitung profitierte aber auch von der Kooperation mit Sebastian Breuninger, besonders spürbar, wenn Herbert Blomstedt nach links fokussierte oder Einsätze für Soli gab, während vom Konzertmeister aus eine Geschlossenheit der Streicher definiert wurde.

Das Adagio führte dann vorzüglich vor, wie sich ein Subbaß im Orchester entwickelt, wie er stützt, den Klang bereitet. Bemerkenswert waren die Bläsersoli und wie sie dicht und organisch eingeschlossen blieben! Der Eindruck des Erschließens eines Klangraums hielt an, im vierten Satz wieder maßgeblich von den Violoncelli angeregt. Die Duette Flöte / Klarinette, später Violine (Breuninger) und Flöte hoben sich markant daraus ab. Solche Klangerfahrung will eigentlich nachempfunden, nacherfahren werden. Dazu wird Gelegenheit bestehen: Einerseits, weil das Konzert nach der Bruckner-Gesamtaufnahme von 2007 mit Herbert Blomstedt und dem Gewandhausorchester erneut mitgeschnitten wurde. Weniger der Jahre wegen, die seitdem vergangen sind, als wegen der anderen Fassung. Auch mit 97 Jahren interessiert sich Herbert Blomstedt für die neuesten Werkausgaben und wissenschaftliche Erkenntnisse und hatte jene aus der Neuen Bruckner-Gesamtausgabe, herausgegeben von Paul Hawkshaw, ausgewählt. Und wer vergleichen will, der kann Bruckner sieben im Mai mit der Sächsischen Staatskapelle und Tugan Sokhiev hören.

5. April 2025, Wolfram Quellmalz

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