Wiederaufnahme von Lucia di Lammermoor an der Semperoper
Schon Walter Scotts Romanvorlage ist schaurig und düster, Gaetano Donizettis Erfolgsoper ist es trotz italienischer Sprache und seiner Musik ebenso – »Lucia di Lammermoor« bleibt ein Schauerstoff. In der Inszenierung von Dietrich W. Hilsdorf wird dies noch betont: alles ist schwarz-weiß, die Orte der Ravenswoods und Ashtons, Brautgemach und Festsaal sind immer wieder dieselben. Zwar wandeln sich Wände (Bühne: Johannes Leiacker), doch lenkt Dietrich W. Hilsdorf eher auf die innere Düsternis des Dramas als daß er Landschaften, Ruinen oder Schlösser ausmalt. Auch die Kostüme (Gesine Völlm) sind nahezu einheitlich schwarz, das ist fast schon ein wenig öde, zudem sind die grellen Lichtblitze im fünften Bild wenig augenfreundlich.

Aber bei Donizetti erwartet man wohl vor allem den Gesang und Solisten, die mit ihren Stimmen und in den Rollen die Farbe beisteuern. Und auch wenn am vergangenen Sonntag das von vielen erwartete Hausdebüt von Pretty Yende (Absage internationaler Engagements aus privaten Gründen) ausfiel, wurden die Farben letztlich musikalisch lebendig. Das lag vor allem an Ruth Iniesta, die sich als glänzende Besetzung für Miss Lucia Ashton erwies, sowie Bekhzod Davronov als Sir Edgardo di Ravenswood. Dem Paar wird von der Familie Lucias übel mitgespielt, die Briefe abfängt und fälscht, um ihre Liebe zu verhindern. Denn Bruder Lord Enrico Ashton (Neven Crnić) sucht strategisch, seine Partei zu stärken und will, daß Lucia Lord Arturo Bucklaw (Omer Kobiljak) heiratet. Das zu erreichen, ist ihm jedes Mittel recht.
Wie gefährlich dieses Spiel ist, erkennt er zu spät, dabei ist seine Kaltblütigkeit schon früh zu offensichtlich und kein Jota bewunderungswürdig – wer so mit der Schwester, mit der Familie umgeht, was ist dem letztlich alles zuzutrauen? Und doch machte Neven Crnić als Enrico zu einer bemerkenswerten Persönlichkeit, deren markante Schärfe der Stimme als Stärke wesentlich war.

Ruth Iniesta (eines von fünf Rollendebüts!) bezauberte zunächst mit ihrem zarten Piano, später mit dem forcierten, fast schneidenden (»irren«) Ton der Wahnsinnsarie. Die Spannweite dazwischen konnte sie mühelos gestalten. Nicht nur hier war die Sächsische Staatskapelle (Leitung: Roberto Rizzi Brignoli) ein musikalisch perfekter Partner. Während die meisten Musiker gerade mit Daniele Gatti auf Gastspielreise sind, genügt sich Donizetti mit einer relativ kleinen Besetzung, die Roberto Rizzi Brignoli jedoch mit Verve zu temperamentvoller und aufflammender Spielweise verleiten ließ. Das galt nicht allein dann, wenn Blut, Glut oder der Verwerfungen des Lebens aufwallten, gerade die Partie der Lucia wurde immer wieder von den Bläsern begleitet, die teils in Duette führen. Dazu kam, daß in Dresden »Lucia di Lammermoor« – wie von Donizetti gewünscht – mit einer Glasharfe (Sascha Beckert) besetzt ist, was man selten erlebt. Sascha Beckert trug wesentlich zur Wahnsinnsarie bei, fand als Echoerwiderung und schließlich im kantablen Paarlauf zur Sopranistin.

Kaum weniger markant fiel Bekhzod Davronov als Edgardo auf, der anfangs noch mit Lucia zu einem hinreißenden Liebes- und Abschiedsduett gefunden hatte. Während Lucias Zustand zunehmend entseelt war, geriet jener Edgardos um so beseelter, noch im Zorn der Enttäuschung. Anders als der von Rache getriebene Enrico läßt er daher auch von seinem Wunsch nach Vergeltung ab, will als letzter seiner Familie den Vorfahren folgen. Nach Lucias Tod wählt er ein freiwilliges Ende. Während Ruth Iniesta Einspringen erst- und vorläufig einmalig ist, dürfen wir uns auf Bekhzod Davronov gleich mehrfach freuen, der als Rodolfo in »La bohème« (Mai und Dezember) sowie in der Neuproduktion von »Roméo et Juliette« (als Roméo im Juli) zu erleben ist.

Neben Peter Kellner als Raimondo und Ewa Zeuner in der Rolle der verstorbenen Mutter Lucias verlieh vor allem Gerald Hupach als Normanno den weiteren Rollen Charakter und ein würdevolles Auftreten. Die an sich statische Regie gab dem Sächsischen Staatsopernchor Dresden (Jonathan Becker) darstellerisch außer in Szenen, die Bedrängnis vermitteln, wenig Spielraum, konnte dafür in seinem homogenen Klang und seiner dramaturgischen Flexibilität überzeugen, wie im letzten Bild, wenn er verborgen aus dem Hintergrund singt.
21. April 2025, Wolfram Quellmalz
Gaetano Donizetti »Lucia di Lammermoor«, Semperoper Dresden, Sächsische Staatskapelle (Leitung: Roberto Rizzi Brignoli), mit Ruth Iniesta (Lucia) und Bekhzod Davronov (Edgardo) und anderen, morgen (25.) wieder sowie am 29. April und im Mai http://www.semperoper.de