Start mit Vorfreude

Orchester aus Tokyo eröffnet Musikfestspiele

Nach zwei Vorkonzerten vor Wochenfrist begannen die Dresdner Musikfestspiele (DMF) am Sonnabend – mit einem weiteren »Konzert am Vorabend«. Dabei zählt der 17. Mai doch schon zum Festspielzeitraum. Wie dem auch sei – die offizielle Eröffnung erfolgte erst am Sonntag, Dirigent und Orchester waren aber dieselben. Am Sonnabend in der Dresdner Frauenkirche konnte man also schon einmal das NHK Symphony Orchestra aus Tokyo mit seinem Chef, dem Dresden-Heimkehrer Fabio Luisi, »beschnuppern«.

Das NHK Symphony Orchestra, laut Programmheft eines der »Big three« der japanischen Hauptstadt, dürfte den meisten eher durch Radio oder Aufnahmen bekannt gewesen sein, Möglichkeiten zum direkten Hörkontakt waren bisher rar, der Dresden-Besuch ein Debut. Dabei feiert das Orchester im kommenden Jahr seinen 100. Geburtstag und kann auf eine lange Liste namhafter Dirigenten zurückblicken. Allein die aktuell dem NHK verbundenen Maestri sprechen für sich: Neben Fabio Luisi (»Chief«) sind dies Charles Dutoit (Music Director emeritus), Herbert Blomstedt (Honorary Conductor laureate), Vladimir Ashkenazy (Conductor laureate), Paavo Järvi (Honorary Conductor) … sic!

Souveräne Solistin und koordinierender Partner: Akiko Suwanai und Fabio Luisi, Photo: Dresdner Musikfestspiele, © Oliver Killig

Mit »Three Film Scores« von Tōru Takemitsu führte Fabio Luisi dem Publikum die Qualitäten seines NHK Symphony Orchestra vor: ein eleganter Klang, musikalisch flexible Bögen, deren »Krümmung«, also Tempi und Dynamik, sich anpassen können. Der aus Filmmusik herausgelösten bzw. gewonnenen eigenständigen Musik in drei Sätzen haftet etwas Universelles an. Westliche, bekömmliche Musik, die dissonante Züge einschließt und Ambivalenzen zuläßt, wie im zweiten Teil, einer Funeral music (Trauermusik). Das Orchester gab dabei schon eine Andeutung zu besonderem Klang, einem glockenschweren Baß zum Beispiel.

Dennoch hinterließ Alban Bergs Konzert für Violine und Orchester »Dem Andenken eines Engels« den tieferen Eindruck, den tiefsten an diesem Abend, wie sich zeigen sollte, zumindest wenn man das Werk in seiner Geschlossenheit betrachtet. Als Solistin hatten die DMF Akiko Suwanai gewonnen. Sie ist hierzulande wohl um einiges populärer als das Orchester – wer wäre etwa an ihrer Bach-Aufnahme von 2006 vorbeigekommen? Das liegt nun schon ein paar Jahre zurück, doch den klaren, lyrischen, singenden Ton hat Akiko Suwanai nicht nur bewahrt, sondern weiterentwickelt. Er konnte tröstlich oder fragil klingen; vor allem fand die Japanerin zu einem ausgesprochenen Dialog mit dem Orchester, in der durch Fabio Luisi koordinierten Gesamtheit wie im kammermusikalischen und direkten Sinn. Nicht zuletzt gelang es Fabio Luisi, das NHK wunderbar um die Solistin zu ordnen, so daß sie nicht nur optisch, sondern auch akustisch eine zentrale, ganz mittige Position einnahm. Zunächst mit den Holzbläsern im Austausch, die den Klang auffächerten, sorgten bald die Blechbläser für einen erstaunlichen Hallhintergrund. Erstaunlich, weil der Klang nicht massiv wurde, nicht erdrückte, aber die Violine dicht zu umschließen schien.

Federleicht schienen Solistin und Orchester teilweise, ein Klang, als könne er von einem kräftigen Windstoß zerstoben werden. Gerade diese Leichtigkeit erlaubte es, der Melodie einen tänzerischen Aufschwung zu verleihen. Doch das »Andenken eines Engels« heißt es nicht von ungefähr. Kadenzartig, fast wie eine Caprice steigerte sich die Solostimme, arbeitete Fabio Luisi mit dem Orchester einen »Schicksalsschlag« heraus. Den folgenden, kaum versteckten Choral zelebrierte das NHK schnörkellos, aber ohne Pathos – fein!

Feines Händchen: Fabio Luisi mit dem NHK Symphony Orchestra in der Dresdner Frauenkirche, Photo: Dresdner Musikfestspiele, © Oliver Killig

Eine Zugabe hatte Akiko Suwanai dem Stück nicht anfügen wollen, vielleicht aus Pietät? Fabio Luisi lieferte später mit einem Stück Beethoven (Scherzo aus der Achten) eine nach, legte aber zunächst in Johannes Brahms‘ vierter Sinfonie Klangflächen offen. Freilich offenbarte sich darin ein sehr leichter Streicherklang, der fast dünn und hell blieb. Auch dem beherzten Andante mit seinem federnden Reflex verschwammen die Konturen minimal. Dafür trumpften die Bläser um so mehr auf, vor allem Oboe und Flöte (mit einem Instrument aus Holz). In den beiden Schlußsätzen fanden Bläser und Streicher zu einer Verve, die Brahms Ehre machte – also doch ein guter Anfang für die Musikfestspiele!

18. Mai 2025, Wolfram Quellmalz

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