Anna Scholl an der Silbermann-Orgel der Dresdner Hofkirche
In den letzten Konzerten an der Silbermann-Orgel der Dresdner Hofkirche (Kathedrale) war neben Bach und Buxtehude viel romantische Musik zu hören, auch hochromantische und deren moderne Verarbeitungen bis hin zu Reger und Karg-Elert. Solche Werke bis hin zu gegenwärtigen sind auf so einer alten Orgel durchaus möglich und kein bißchen »anachronistisch«. Anna Scholl, seit vergangenem Juli Kantorin an der Marktkirche Halle, kam am Mittwoch sozusagen aus der anderen Richtung auf der Zeitachse und näherte sich vom 16. Jahrhundert ausgehend der Zeit der Silbermann-Orgel und Johann Sebastian Bachs.
Als Organistin, Cembalistin und Dirigentin (unter anderem Collegium musicum 1750, CAFÉ INTERNATIONAL baroque orchestra) hat sich Anna Scholl mit Alter und Neuer Musik beschäftigt und als Künstlerische Leiterin der Stiftung historische Orgeln bereits zwei Einspielungen auf besonders wertvollen Instrumenten vorgelegt. Von diesem Können und dieser Auseinandersetzung zeugte auch ihr Konzertprogramm, das den einen die reine Freude an Orgelmusik bot, den anderen darüber hinaus Bezüge, nicht zuletzt auf Pfingsten, offenbarte.
Matthias Weckmann zum Beispiel war in Dresden Schüler bei Heinrich Schütz, kam als Kapellknabe an die Hofkirche und wurde später in Hamburg berühmt, kehrte aber nach Dresden zurück. Sein Praeambulum Primi toni a 5 verband in der Eröffnung die Bodenständigkeit des Basses mit beflügelten Tonskalen, fugierten Läufen und mündete in ein Fanfarenmotiv.
Nach dem bereits erfrischenden Beginn konnte man erfahren, was »Intavolierung« bedeutet, denn Heinrich Scheidemann hatte mit »Dic nobis Maria, quid vidisti in via« von Giovanni Bassano eine solche Übertragung eines gesungenen Liedes auf Instrumentalstimmen angefertigt. Dabei war es ihm gelungen, die Orgel zur polyphonen Sängerin werden zu lassen, die jetzt Strophe um Strophe ein frohes Lied vortrug.
Die liedhaften Bestandteile blieben der Orgelstunde erhalten, denn Anna Scholl setzte ihr Programm mit der Pfingstsequenz »Komm, Heiliger Geist« fort. Bei Franz Tunder überwogen die Gesanglichkeit und die Textzeilen, die in sich gegenüberstehenden Registern noch durch kleine Pausen der Stimmen betont waren. Dabei war die Melodie bereits von kleinen Verzierungen umspielt. Dieterich Buxtehude (BuxWV 199) hatte die gleiche Sequenz »runder«, sanfter und »goldener« gefaßt. Über dem kräftigeren Baß durften die Oberstimmen wie Glöckchen brillieren, mit dem Schlußakkord in Aufwärtsbewegung betonte Buxtehude den frohen Ausgang.
Mit dem zweiten Stück von Matthias Weckmann, der Canzona in C, setzte Anna Scholl ihr Programm auf luftige Weise fort. Nun durften die Flöten, weit oben klingend, den Anfang zunächst leicht ausmalen. Die Mittelstimme wuchs jedoch und gewann erstaunlich an Volumen und Kraft, die nun auch im Baß schimmerte.
Georg Böhms Fassung von »Vater unser im Himmelreich« sorgte, erst gedämpft klingend, für einen Moment der Einkehr. Wie von weit her, ein wenig rauchig, drang die Melodie vor, wurde nach und nach mit leicht tremolierenden Stimmen aber immer dichter. Johann Sebastian Bachs Orgelchoral zum gleichen Thema (BWV 682) stellte sich deutlich klarer, mehr »geradeheraus« dar. Die Melodie blieb bei ihm vordergründiger, wurde durch rhythmisches Voranschreiten bekräftigt.
Anna Scholl war damit an der Wende zum 18. Jahrhundert und dem Gipfel der barocken Prachtentfaltung angekommen. Dietrich Buxtehudes mehrteilige Toccata in F (BuxWV 156) schien schon zu Beginn ein »Willkommen« in die Kirche zu rufen. Das schlicht nach einer Gattung bezeichnete Stück ist nicht nur mehrteilig, es erwies sich erneut als wandlungsfähig und vielfältig, vom verzweigten Präludium über mehrfach fugierte Abschnitte. Mit kräftiger Baßbetonung durfte schon der Mittelteil seine zentrale Schwerkraft entwickeln, bevor das Thema im Finale mächtig anschwoll.
Die Schlußworte überließ Anna Scholl – fast ein wenig schade – Johann Sebastian Bach. »An Wasserflüssen Babylon« (BWV 653) führte bedächtig in eine Abendstimmung, mit Fantasie und Fuge g-Moll (BWV 542), im hellsten Silbermann-Schein beginnend und zu höchster Orgelkunst aufsteigend, fand die Organistin einen würdigen Schlußpunkt, der aber den wunderbaren Beginn nicht vergessen machen sollte.
5. Juni 2025, Wolfram Quellmalz
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