Mit dem Intendanten sich verabschiedet auch eine der erfolgreichsten Produktionen von der Hamburger Opernbühne
Im Sommer endet die 2015 begonnene Intendanz von Georges Delnon an der StaatsoperHamburg. Zu den Erfolgen in dieser Dekade zählt Alban Bergs »Lulu« (2017), das von den Kritikern der Zeitschrift Opernwelt zur »Aufführung des Jahres« gewählt wurde (Theaterpreis »Faust« für Regisseur Christoph Marthaler). Im Spielplan der letzten Saison Delnons stand noch einmal Wolfgang Amadé Mozarts »Le Nozze di Figaro«. Das Stück in der Inszenierung von Stefan Herheim feierte in Delnons Eröffnungsspielzeit Premiere und gehört zu den beliebtesten und erfolgreichsten Produktionen der Hamburger Oper. Am 3. Juli gibt es mit einem anschließenden Empfang eine letzte Vorstellung.
Für die letzte Serie hat sich Hamburg noch einmal eine Spitzenbesetzung gegönnt, zu der, gerade erst vom Senat der Freien und Hansestadt Hamburg zur Kammersängerin ernannt, die Sopranistin Olga Peretyatko gehört. Neben ihr als Contessa d’Almaviva ist Katharina Konradi als Susanna zu erleben sowie Julia Lezhneva als Cherubino. Schon diese drei versprechen ein Fest.

Die Musikalische Leitung lag ursprünglich bei Ottavio Dantone, in dieser Spielzeit hatte sie Nicholas Carter übernommen, der 2026 GMD der Staatsoper Stuttgart wird. Er gestaltete »Figaro« mit dem Philharmonischen Staatsorchester Hamburg szenengerecht und effektvoll, vor allem sängerfreundlich. Passend und den Vorlieben Mozarts gemäß werden die Rezitative von einem äußerst beweglichen Hammerklavier begleitet.
Stefan Herheims Produktion erweckte am Freitag vergangener Woche noch einen frischen, spritzigen Eindruck und sorgte mit seinem Comic-Video-Vorspann (fettFilm) für begeisterte Freude – aus den anfänglich eingeblendeten Partiturblättern erwachen während der Ouvertüre die Noten plötzlich zum Leben, bilden Notenmännchen und -frauchen und treiben es recht bunt …

Musik und Libido stehen bei Stefan Herheim quasi im Rampenlicht – beide scheinen mitunter blendend hell bzw. übermäßig potent. Das setzt auch das »Prima la musica e poi le parole« (»Erst die Musik und dann die Worte«) neu ins Verhältnis. Jeder will seine (Ge)lüste befriedigen, noch hinter der harmlosesten Frage kann sich ein Schabernack verbergen – selbst Susanna und die Gräfin geraten angesichts des Lustobjekts Cherubino, zumindest andeutungsweise, in einen Zickenkrieg. Der Graf dagegen entblößt sich selbst, gerät von einer peinlichen Situation in die nächste. Nur sein hoher Adel rettet ihn vor größerer Schmach.
Aber vor allem kommt die Musik – Christof Hetzer hat eine Bühne entworfen, bei der sich alles in zwei Kästen abspielt: außen ein Saal aus Notenlinien, in der Mitte ein Bettkasten. Der Saal, den Projektionen in verschiedenen Stilen dekorieren, ist mit Notenpapier tapeziert, das zerfetzt wird und flattert. Nebenbei ist immer passend ein Blatt zur Hand, gleich, ob Cherubino eine Canzone singen oder ein heimlicher Brief geschrieben werden soll, um den Grafen in eine Falle zu locken.

Das ist pausenlos lustvoll übersteigert und verspielt – nichts ist echt, niemand scheint etwas ernst zu nehmen. Stefan Herheim hat ein Amüsierstück inszeniert, das auch nach zehn Jahren kaum etwas von seiner Kraft verloren hat. Nur manchmal fällt im üppigen Zuviel auf, daß sich einzelne Effekte, wie der Griff ans eigene Geschlecht als wenig verborgene Andeutung, worum es geht, wiederholen.

Aber schließlich gilt Prima la musica, und das heißt beim Figaro, daß es eine Perlenkette von Arien gibt. Und da bleiben gerade die Damen dem Besucher nichts schuldig. Olga Peretyatko hat einen herrlich leuchtenden Sopran – rund und weich, ohne übermäßige Spitzen, zeigt sie die Contessa d’Almaviva als lebenserfahrene, nach wie vor leidenschaftliche Frau. Überlegt ja, aber nicht nur mit Kalkül. Katharina Konradis Susanna ist ihr eine Konkurrentin, die zwar mit mehr Licht strahlt, »schärfer«, letztlich der Gräfin im Charakter ähnlicher aber ist, als beide wahrhaben wollen. Während Peretyatko und Konradi mit ihrem unterschiedlich eingesetzten Timbres die Weiblichkeit betonten, blieb Julia Lezhnevas Cherubino ohne Vibrato knabenhaft schlank. Die Damen lieben stets »mit Köpfchen«, Cherubino agiert als pubertierender Jüngling etwas kopflos. Er stolpert in immer neue Verwicklungen (und dem Grafen vor die Füße), fällt bei Gelegenheit aber auch über Barbarina (Marie Maidowski) her. Julia Lezhneva vollführte nicht nur die teils feurigen Volten des Gesangs, sie beherrschte zudem ein witziges Spiel!

Das Trio wuchs sogar zum Quartett, denn Claire Gascoin ließ Marcellinas Szenen zu großartigen Auftritten wachsen. Der Conte d’Almaviva (Kartal Karagedik) konnte mit stimmlicher Präsenz gegenhalten, lag aber letztlich immer einen »Zug« zurück. Während Karagedik agil in die Rolle fand, blieb Ensemblemitglied Chao Deng als Figaro hinter den Erwartungen bzw. hinter dem Damenquartett zurück. Etwas matt schien er in seinen Arien (»Aprite un po’ quegli occhi« / »Ach! öffnet eure Augen«) und den Ensembleszenen teils kraftlos – letztlich wacker geschlagen.
In der neuen Spielzeit übernehmen Tobias Kratzer und Omer Meir Wellber (GMD) das Ruder an der Staatsoper Hamburg. Kratzers Inszenierungen waren oft spektakulär und provokant, aber auch beim Publikum beliebt. Ob der Regisseur zum Intendanten taugt, wird man sehen.
28. Juni 2025, Wolfram Quellmalz