Bach-Zyklus von Sebastian Freitag geht in die zweite Halbzeit
Da staunt mancher: der Bach-Zyklus von Domorganist Sebastian Freitag gilt als der erste an der Katholischen Hofkirche Dresden (Kathedrale). Zwar mögen Amtsvorgänger wie Gustav Adolf Merkel oder Hansjürgen Scholze oft Bach gespielt haben, vor allem liturgisch, aber einen Konzertzyklus hat es bisher offenbar nicht gegeben. Am Freitag ging das Ende April gestartete Projekt in die zweite Halbzeit, die mit dem fünfzehnten Konzert am Reformationstag feierlich abgeschlossen werden soll.
Meist stehen sich an den Abenden Werkpaare wie Präludium und Fuge mit Triosonaten und Choralbearbeitungen gegenüber, einzelne Konzerte sind um bestimmte Gattungen oder Themen konzentriert. So erklang im Mai das in zwei Contrapunctus eingeschlossene »Orgelbüchlein« BWV 599 bis 644, an den letzten beiden Abenden stehen vor allem Choralbearbeitungen auf dem Programm.
Zwei Präludium und Fuge im geschwisterlichen C-Dur (BWV 547) und D-Dur (BWV 532) schlossen am Freitag ein Programm ein, das manche weihnachtliche Feierlichkeit bereithielt. Wobei schon das erste Präludium eine freudige Eröffnung mit aufwärts fast hüpfender Tonfolge war. In D-Dur wurde der Abschluß ähnlich frohgemut, aber noch um einiges prächtiger. Das Präludium C-Dur hielt belebende kontrapunktische und kunstvolle Passagen bereit, die Fuge sorgte nach einem sanften Erwachen im Manual für eine vielgliedrige Entfaltung.
Die Vielfalt in Bach findet Sebastian Freitag nicht nur in unterschiedlichen Werken und Gattungen der Orgelliteratur, sondern auch in den Lebensphasen des (späteren) Thomaskantors. Mit sechs der Arnstädter Choräle führte er Bachs frühe Kunstfertigkeit vor – freilich hatte der mit seiner virtuosen Verzierungen zwischen den Choralzeilen die damalige Gemeinde (welche durch das Choralvorspiel ja zum Singen angeleitet werden sollte) verwirrt, was ihm in »Tateinheit« mit dem eigenmächtig verlängerten Lübeck-Aufenthalt und weil er eine »frembde Jungfer« mit auf die Orgelempore genommen habe (und mit ihr musiziert haben soll) allerdings einen Arrest einbrachte.

Mit einem zeitlichen Abstand von gut dreihundert Jahren ließen sich die Choräle jedoch ebenso vergnüglich wie staunend genießen, ließ Bach doch den eigentlichen Chor in der Orgel transponiert singen (»Gelobest seist du, Jesu Christ« / BWV 722 oder »Lobt Gott, ihr Christen allzugleich« / BWV 732). Manchmal stand die Verzierung der Choralzeile durchaus nicht nach, sondern lief ihr den Rang ab (»Vom Himmel hoch, da komm‘ ich her« / BWV 738 und »In dulci jubilo« / BWV 729), was das Arnstädter Urteil sozusagen ein wenig nachvollziehbar scheinen ließ. Gleichzeitig wurde mitten im Sommer festliche Jahresendstimmung spürbar.
Mit Präludium und Fuge d-Moll (BWV 539) hatte Sebastian Freitag ein höchst interessantes Werkpaar ausgewählt, das den Präludien und Fugen an Anfang und Ende zwar formal, aber nicht »geschwisterlich« zugehörte. Das im Manual gespielte Präludium legt nahe, daß das Stück ursprünglich nicht für die Orgel, sondern für ein anderes Tasteninstrument gedacht gewesen ist, die Fuge wiederum basiert auf einem Satz aus der Sonate für Violine solo BWV 1001, die vor 1720 entstand, während die Bearbeitung (wahrscheinlich) auf die Zeit nach 1730 fällt. Auch die Frage, wer Abschrift oder Bearbeitung vorgenommen hat, ist letztlich nicht sicher geklärt. Im Spiel wurde eine Feingliedrigkeit deutlich, jene Filigranität (oder Modernität?), wie man sie bei Bachs Sohn Carl Philipp Emanuel findet oder bei Georg Philipp Telemann. In der Interpretation gefiel vor allem, daß die feine Zeichnung des Ursprungsinstruments Violine in der Fuge erhalten blieb.
Dagegen hob sich »Ertödt‘ uns durch dein‘ Güte« (BWV 22) als eine von drei folgenden Choralbearbeitungen volltönend und deutlich ab. »Ich bitte dich, Herr Jesu Christ« (BWV 166) setzte den Choral (anders als in Arnstadt) schwebend über die Begleitung.
Mit canonischen Veränderungen über »Vom Himmel hoch« (BWV 769) und dem einsetzenden »Silberregen« fallender Tremoli wurde es noch einmal weihnachtlicher und glanzvoller. Zwischen prächtig und schlicht, eindringlich und zurückgenommen hatte Bach viele Facetten des Weihnachtsliedes dargestellt und im Canon in der Septime (Nr. 3) mit schreitendem Baß eine beeindruckende »Rampe« mit der Orgel errichtet.
12. Juli 2025, Wolfram Quellmalz
Am 25. Juli setzt Sebastian Freitag seinen Bach-Zyklus mit den »Leipziger Chorälen« sowie Fantasie und Fuge g-Moll (BWV 542) fort.