Das Beste kommt zum Schluß!

Musica Gloria beim Letní slavnosti staré hudby

Waren wir nach dem letzten Konzert bei den Sommerfesten der Alten Musik (Letní slavnosti staré hudby) in Prag schon begeistert [unser Bericht: ] https://neuemusikalischeblaetter.com/2025/07/27/stimmen-im-trio/, so hat uns das gestrige vollkommen euphorisiert! Dabei steht das der Abschluß der Reihe am kommenden Mittwoch noch aus. Ob das veranstaltende Ensemble Collegium Marianum, das wie immer das letzte Konzert selbst spielt, das Niveau, den Grad der Berührung und den Effekt bei »Passion d’amore« noch einmal zu steigern vermögen, können die NMB leider nicht verfolgen – nach drei Besuchen in Prag sind wir am 5. August nicht mehr dabei. (Sicher aber viele andere Besucher (und wir kehren ganz sicher 2026 wieder)!)

Gestern nun realisierte sich für mindestens einen ein Traum, denn Thomas Langlois, der bei Musica Gloria die Laute bzw. die Theorbe schlug und die Barockgitarre zupfte, war als fünfjähriger Knabe schon einmal im Festsaal des Palais Lobkowitz‘. Damals soll er den Wunsch ausgesprochen haben, hier einmal spiele zu dürfen – am 31. Juli ging das in Erfüllung.

Musica Gloria: Evan Buttar, Pieter de Praetere, dahinter verdeckt: Beniamino Paganini, Nele Vertommen und Thomas Langlois, Photo: Letní slavnosti staré hudby, © Ivan Maly

Ein Konzertprogramm um einem dramaturgischen Bogen zu spannen und mit einem Einzug zu beginnen, ist leicht gesagt, selten probiert und nicht immer gelungen. Musica Gloria um seine beiden Künstlerischen Leiter Beniamino Paganini (Cembalo sowie Flöten) und Nele Vertommen (Barockoboe, sowie Flöten) gestalteten, beginnend mit dem sonoren Lebenspuls der Viola da Gamba (Evan Buttar), gefolgt vom Cembalo, einen solchen Einzug spielend. Als Countertenor Pieter de Praetere dann noch Henry Purcells »Musick for a while« anstimmte, öffnete sich der Kosmos der Alten Musik wie ein Schatzkästlein. Pieter de Praetere sollte einer der bestimmendsten Gestalter bleiben, der wandelbar (einfühlsam, schmeichelnd, keck girrend, geschmeidig, aber auch mit einer herrlich goldbronzenen Tiefe) und sinnig zu interpretieren wußte.

Pieter de Praetere (einmal stumm, am Cembalo, verdeckt), Evan Buttar, Beniamino Paganini, Nele Vertommen und Thomas Langlois, Photo: Letní slavnosti staré hudby, © Ivan Maly

In einem ersten Block waren Instrumental- und Vokalstücke eng verflochten, Miniaturen, die gesellschaftliche Tänze, leidenschaftliche Szenen und pastellene Bilder spiegelten. Manches wurde geradezu fühlbar, wie das Fallen der »Schlangen«, die wie Tränentropfen klangen. Und mit Orpheus‘ Gesang (»When Orpheus sang«) vom Fenster der Saalempore aus berührte Pieter de Praetere sicher jedes Herz!

In vielen Stücken, aber auch innerhalb der zusammengefaßten Blöcke, gab es Verlauf und Steigerung, wie in Henry Purcells »O solitude«, das sich leidenschaftliche erhob und die Vorzüge (oder Abgründe) der Einsamkeit besang (Ruhe, Behagen, Abwesenheit der Geliebten), um sich hernach – nicht ohne ein spöttisches Augenzwinkern des Countertenors – auch musikalisch beruhigt wieder auf das Wort »solitude« zu »legen«.

Pieter de Praetere sang als Orpheus von oben, Photo: Letní slavnosti staré hudby, © Ivan Maly

Dabei gelang sogar, was selten glückt – wenn Sänger rezitieren. Diesmal war William Wordsworths Gedicht »I wandered lonely as a cloud« (»Ich wandert’ einsam wie die Wolke«) nicht nur klug gewählt, es leitete zum Lobpreis der Einsamkeit über und wahrte die Ambivalenz des Vorzuges (bzw. Lobpreises).

Evan Buttar, Beniamino Paganini und Pieter de Praetere, Photo: Letní slavnosti staré hudby, © Ivan Maly

Wandelbar im Ausdruck war nicht nur Pieter de Praetere – seine Mitstreiter standen ihm in nichts nach, spielten sie doch aller verschiedene Instrumente. Ob im Wechsel von Cembalo und Flöten oder Travers- und Blockflöten in Alt- und Soprangröße, bis hin zu Evan Buttars Viola da Gamba, die er für eine Suite aus Purcells Triosonaten Z 806, 809 und 796 auch einmal im Diskantformat spielte – nicht einfach zur Abwechslung, sondern um mit dem Gegensatz eine besondere Stimmung hervorzuheben.

Nele Vertommen und Thomas Langlois, Photo: Letní slavnosti staré hudby, © Ivan Maly

Die Blasinstrumente, allesamt Kopien früher europäischer Flöten und Oboen, hatten ihren Ursprung vor allem im 17. Jahrhundert, als die Traversflöte noch nah am Renaissanceinstrument war und die Mensur der Oboe einen vordringlichen Ton erlaubte, mit dem Nele Vertommen einen Sound for trumpet anstimmen konnte. Der stammte einmal nicht von Henry, sondern Daniel Purcell. Wir bei Purcells Vater (ebenfalls Henry) sind viele Lebensdaten Daniels nicht sicher belegt. Er könnte ein Bruder oder Cousin den berühmten Orpheus britannicus gewesen sein. Mit der Suite »The unhappy penitent« (Der unglückliche Büßer) öffnete Daniel im zweiten Konzertteil die Gemüter sogar für galante Musik! Auch Tobias Hume hatte zwei seiner Ayres (Air, instrumentales Lied) beitragen dürfen.

Der immer veränderliche Reigen , oft von ostinaten Figuren getragen (oder als »Ground« präsentiert) und mit köstlicher Zier veredelt, ließ viel Platz für Soli und Duette, auch zwischen Stimme und Klarinette. Da bedurfte es am Ende zweier Zugaben: »One charming night« von Henry Purcell sowie »Strike the viol, touch the lute« (streich die Gambe, berühre die Laute) Wiederholung.

1. August 2025, Wolfram Quellmalz

Pieter de Praetere, Nele Vertommen, Beniamino Paganini, Evan Buttar und Thomas Langlois, Photo: Letní slavnosti staré hudby, © Ivan Maly

Wer nach Wiederholung sucht, aber kein Konzert von Musica Gloria in seiner Reichweite findet, dem seien die CDs empfohlen (Auswahl unten). Das aktuelle Programm soll noch in diesem Jahr aufgenommen werden – wir werden vom Erscheinen berichten.

CDs mit Musica Gloria:
»The Bachs & The Flute«, mit Werken von Johann Sebastian Bach, Wilhelm Friedemann Bach, Carl Philipp Emanuel Bach, Johann Christoph Friedrich Bach und Johann Christian Bach, erschienen bei PAN, »Norddeutsche Kantaten um 1700«, mit Werken von Johann Theile, Heinrich Bokemeyer, Michael Österreich, Georg Österreich, Johann Philipp Förtsch, Johann Friedrich Meister und Giulio Giuliani, erschienen bei Etcetera, »Encounters in Rome«, mit Werken von Georg Friedrich Händel, Arcangelo Corelli und Santiago de Murcia, erschienen bei Etcetera

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