Domorganist Sebastian Freitag vollendet das zweite Drittel seines Bach-Zyklus‘ mit Chorälen
In der Vorwoche hatte Domorganist Sebastian Freitag im Rahmen seines Bach-Zyklus‘ in der Hofkirche (Kathedrale) die sogenannten Leipziger Choräle des Thomaskantors begonnen, im zehnten Konzert schloß er sie nun ab. Es war an diesem Freitag einer der wenigen Momente im Rahmen der Gesamtaufführung, in denen Werke aus dem BWV mit chronologisch laufender Nummer (hier: 659 bis 667) gespielt wurden. (Der berühmteste der Leipziger Choräle, »Vor Deinen Thron tret‘ ich«, BWV 669, war herausgehoben bereits im sechsten Konzert erklungen.) Johann Sebastian Bach hatte sich in seinen letzten Lebensjahren in Leipzig mit den Chorälen befaßt, in vielen Fällen noch einmal (manche waren ursprünglich früher und bereits in Weimar oder Köthen entstanden). Die letzten schrieb Johann Christoph Altnikol laut dessen eigener Aussage im Diktat nieder.
Vorangestellt war wiederum ein anderes Orgelwerk: Fantasie und Fuge c-Moll (BWV 537) eröffnete – passend zum milderen Licht des Spätsommers – im kantablen Schimmer, der bereits an einen Choral bzw. eine singende Stimme erinnerte. Dafür, daß Bach den ersten Teil nicht »Präludium« nannte, mag es formale Gründe gegeben haben, obwohl die Fantasie dennoch mit einem Prélude-Teil beginnt. Von dort bewegt sie sich fugiert und motivisch frei, ein Eindruck, den noch die Kadenz am Ende stützt. In der Fuge, architektonisch aufstrebend, wie in Bachs besten Werken, wurde bald eine innere Stimme deutlich, die vom Chor der umgebenden Stimmen bzw. der Begleitung umschlossen blieb. Die Art des Wechselspiels zwischen einzelner bzw. Choralstimme (Cantus firmus) und Chor (oder Begleitung) sollte gerade den folgenden neun Stücken nicht nur Struktur verleihen, sondern eine Spannung aufbauen.

Zunächst waren BWV 659 bis 661 über »Nun komm der Heiden Heiland« zusammengefaßt und zeigten auf, wie unterschiedlich Bearbeitungen des gleichen Chorals ausfallen können. Folgte der Cantus firmus im ersten scheinbar noch dem Beispiel aus der Fuge BWV 537 mit führendem Sopran und umgebendem Chor, herrschten im nächsten Teil das Pedal und zwei dunkle Baßstimmen vor, zu denen sich erst später der Sopran gesellte. Zusätzlich betonte Sebastian Freitag den Verlauf noch mit einer leichten Steigerung in der Dynamik. Die dritte Choralauslegung (BWV 661) strahlte im Vergleich viel heller, wobei diesmal das Pedal als stimmliches Gegengewicht wirkte.
Auch über »Allein Gott in der Höh‘ sei Ehr’« gab es drei Choräle (BWV 662 bis 664). Nicht zuletzt hatte Bach für bestimmte Anlässe einzelne Strophen der ursprünglichen Texte hervorgehoben. Doch nicht nur das – im lombardischen Stil (Rhythmus) geschrieben mit schmeichelnden Stimmen, die Cantus firmus und Begleitung zu verschmelzen schienen, gehörte BWV 662 harmonisch, stilistisch und in der Stimmung zu den schönsten der an diesem Abend präsentierten Choräle. Die folgende Variante war im Vergleich deutlich verspielter, was in BWV 664, in der Anlage ähnlich einer Triosonate, noch gesteigert wurde.
Im Werkpaar BWV 665 / 666 zu »Jesus Christus unser Heiland« beeindruckte zunächst die mächtige Anlage in Baß und Melodie, während Alio modo (BWV 666) im Kontrast viel, viel schlanker blieb und mit einem formvollendeten Pedalschluß wiederum seine Schönheit hervorhob.
Die ausgefeilte Programmatik von Sebastian Freitag stellt nicht nur Bezüge innerhalb eines Abends her, sondern auch zwischen den Konzerten. So setzte »Komm, Gott Schöpfer, Heiliger Geist« (BWV 667) einerseits die Folge der Leipziger Choräle fort, knüpfte aber gleichzeitig an das Orgel-Büchlein an, in das Bach den Choral bereits einmal aufgenommen hatte (BWV 631, Konzert vom 30. Mai). Hier wurde die ganze strahlende Glorie des Thomaskantors hörbar!
Sie wurde sogar noch übertroffen von Präludium und Fuge e-Moll (BWV 548), laut Sebastian Freitags eigenem Programmhefttext die »kühnste und freiste« der Bach’schen Fugen. Nach dem vorsichtigen Schimmer am Anfang durfte das Präludium hier noch einmal eine prächtige Öffnung setzen, blieb phantasievoll und frei. Die Fuge setzte den Eindruck, daß man von einer Stimme angerufen würde, fort.
2. August 2025, Wolfram Quellmalz
Im nächsten Konzert des Bach-Zyklus‘ erklingen am 22. August (Beginn: 19:30 Uhr) in der Dresdner Hofkirche wieder verschiedene Werkpaare, Trios und Fughetten.