Jean-Christophe Geiser kehrte an die Jehmlich-Orgel der Dresdner Kreuzkirche zurück
Große Instrumente scheinen es ihm angetan zu haben: Jean-Christophe Geiser spielt als Titularorganist der Kathedrale Notre-Dame Lausanne nicht nur ein solches Instrument, er war auch für dessen Konzeption verantwortlich. Der amerikanische Orgelbauer Fisk hat in seinem Opus 120 nicht nur 7313 Pfeifen auf 135 Registern vereinigt (später noch um ein Fernwerk von Kuhn erweitert), er hat damit im Grunde – und das ist weltweit wohl einmalig – vier Orgeln erschaffen. Alle Register gleichzeitig zu spielen, klänge allerdings gar nicht so gut, wie Jean-Christophe Geiser am Mittwoch in der Dresdner Kreuzkirche im Vorgespräch »Unter der Stehlampe« verriet. Denn sein Konzept sieht vor, wesentliche Epochen der Orgelhistorie abzubilden, um deren Literatur gerecht darstellen zu können. Und so können Teile der Fisk-Orgel im Stile Arp Schnitgers (norddeutsch-barock), François-Henri Clicquots (altfranzösisch), Aristide Cavaillé-Colls (französisch-symphonisch) und Friedrich Ladegasts (deutsch-romantisch) klingen.
Nicht nur in bezug auf Konzepte, auch sonst sah sich Jean-Christophe Geiser dafür geeignet, Verantwortung zu tragen und studierte parallel zu Klavier und Orgel die Rechtswissenschaften, weshalb er über ein gültiges Anwaltspatent verfügt, das er aber nur nebenbei – »zum Hobby« – ausübt.

Unter den vielen Orgel weltweit, die Jean-Christophe Geiser bereits gespielt hat, ist ihm das Instrument von Jehmlich in der Dresdner Kreuzkirche offenbar sehr gelegen, was ebenso an der Orgel wie am Raum liegt, schließlich klingt das Instrument nicht allein – Konzertsaalorgeln, war im Vorgespräch ebenso zu erfahren, müßten in einer viel trockeneren Akustik ohne viel Nachhall auskommen. Ein Nachteil, den es beim Spielen auszugleichen gilt, obwohl er mit dem Instrument ad hoc nichts zu tun hat.
Für sein Programm hatte sich Jean-Christophe Geiser erneut große Werke ausgewählt, wie Johann Sebastian Bachs »Sei gegrüßte, Jesu gütig« (BWV 768). Es ist gleichzeitig die größte Partita in Bachs Orgelœuvre. So zeigte sich aber auch, daß auf der (»einteiligen«) Dresdner Orgel ebenso verschiedene Zeitalter bzw. Stile darstellbar sind. Viele der Variationen Bachs stehen noch in der Tradition Georg Böhms, für die Jean-Christophe Geiser silbrige Renaissanceklänge fand, was ihn aber nicht davon abhielt, in den anderen das Funkeln und die barocke und freie Verspieltheit des Bach-Zeitalters aufleben zu lassen.
Verblüffend war, daß Charles-Marie Widors Neuvième Symphonie en ut mineur, »Symphonie gothique« genannt, harmonisch an Bachs Partita anzuschließen schien. Allerdings nahm sie sinfonisch sofort einen anderen Verlauf, der mit verschiedenen Themen arbeitet und diese auch einmal zugunsten einer Stimmung in den Hintergrund rückte. Eine flimmernd-vibrierende Begleitung zur liedähnlichen Melodie bildete den Mittelteil, an den sich als Quasi-Finale (Andante sostenuto) ein flammendes Allegro mit choralähnlichem Thema und fast clusterartig gefächerten Klängen anschloß und in einen hymnischen Epilog mündete. Der eigentliche Schlußsatz (Moderato) begann wie ein Postludium, variierte aber über choralartige Teile mit Bezügen zum ersten Satz.
Guy Ropartz‘ Prélude funèbre hatte schon beim letzten Konzert von Jean-Christophe Geiser in Dresden für einen kontemplativen Moment des Innehaltens gesorgt. Das verhältnismäßig kurze Stück mit seinem an sich übersichtlichen Tonraum birgt über Modulationen und einen crescendierenden Abschnitt den Charakter eines Nocturnes – ein kleines, großes Schmuckstück! Dramaturgisch geschickt war damit für einen Übergang zu Louis Vierne gesorgt. »Epitaphe« (aus den »Pièces en style libre«) folgte verschiedene Linien, ähnlich Verstexten (eines Nachrufes), die sich singend vereinigten.
Auf den sinfonisch-stimmungsvollen Mittelteil des Konzerts stimmte Jean-Christophe Geiser Viernes prächtiges Carillon de Westminster (aus den »Pièces de Fantaisie«) über das Geläut von Big Ben (der zum Palace of Westminster gehört) an. Aus einem stimmungsvollen Schimmer auftauchend, durchdrang das berühmte Motiv des Geläuts allmählich die anfangs improvisatorisch wirkende Substanz.
Als Zugabe wählte der Organist eines seiner Lieblingswerke aus dem Bereich der profanen Musik: Louis-James-Alfred Lefébure-Wélys Boléro de concert.
14. August 2025, Wolfram Quellmalz
Am kommenden Mittwoch spielt Guillaume Nussbaum (Strasbourg) Werke von Bach, Liszt und Alain in der Frauenkirche. Am Sonnabend danach (23. August) findet außerhalb der Reihe ein Orgelspaziergang mit den drei Hauptorganisten an Frauenkirche, Kreuzkirche und Hofkirche statt (Beginn: 20:00 Uhr).