Moritzburg Festival näherte sich dem Nordpol

Oslo und Kopenhagen klangen im Konzert

Was ist Wetterglück? Reicht es aus, wenn es nicht regnet? Das Moritzburg Festival kannte spätestens seit dem vorletzten Wochenende auch die sehr frische Seite des August, entschied sich aber am Freitag erneut standhaft, auf der Schloßterrasse zu verharren und nicht in den wohlklingenden Ersatzspielort der Evangelischen Kirche umzuziehen. Leider, denn irgendwann macht das Frieren auf der Schloßterrasse keinen Spaß mehr. Allerdings hatten sich bei notwendigen Umzügen in der Vergangenheit durchaus Besucher beschwert, die den numerierten Platz gegen einen beliebigen in der Kategorie eintauschen mußten.

Doch das Publikum des Moritzburg Festivals ist mindestens ebenso standhaft und blieb, selbst wenn der eine oder andere murrte, dabei. Schließlich gab es am Freitag noch einmal außergewöhnliche Musik zu erleben, diesmal aus nordischen Hauptstädten. Bratschist Lars Anders Tomter konnte es vielleicht am ehesten nachvollziehen – der Norweger ist nicht nur harsche Temperaturen gewohnt, er spielt zudem das wohl mit Abstand älteste Instrument. Seine Gasparo-da-Salo-Viola ist bereits 435 Jahre alt! Den großartigen Klang der alten Violinen, Violen und Celli führen Experten heute nicht nur auf die hohe Kunst der damaligen Werkstätten zurück, sondern ebenso auf besondere Witterungsjahrgänge – in den italienischen Alpen hatten besonders frostige Winter bzw. der Lauf der Jahreszeiten ein außergewöhnlich klangvolles Holz hervorgebracht.

Natürlich gibt es auch moderne, wohlklingende Hölzer, wie im Bechstein-Konzertflügel, an dem Juho Pohjonen saß. Helmut Fuchs hatte noch einmal ein Programm der erkrankten Tine Thing Helseth übernommen und präsentierte am Dienstag mit Edvard Griegs »Haugtussa« (»Das Kind der Berge«) weitere Liedbearbeitungen auf der Trompete. Und die profitierten noch einmal vom geschmeidigen Ansatz und dem großartigen Legato Helmut Fuchs‘. Da mag die Trompete noch so brillant sein – man sollte sich trotzdem hüten, Brillanz immer herauszustellen. Das tat Helmut Fuchs mitnichten, folgte vielmehr dem Idiom des Inhalts, so daß man gerne raten konnte, worum es in den Liedern eigentlich ging. Traumverlorene Hingabe an die »Zauberin« in »Aa veit du den Draum« oder zärtliche Sehnsucht nach der (noch nicht) erreichten Liebsten (»Ho er mager og myrk og mjaa«) – wer sich mehr vertiefen und den wahren Text erfahren mag, dem sei die Aufnahme mit Lise Davidsen und Leif Ove Andsnes ans Herz gelegt.

Mit zwei traditionellen Formationen traten Kopenhagen und Oslo in Ensembles in den Vordergrund. Kevin Zhu und Andrea Cicalese (Violinen), Ulrich Eichenauer und Karolina Errera (Violen) sowie Guy Johnston (Violoncello) hatten sich Carl Nielsens Streichquintett G-Dur vorgenommen. Am Vortag übrigens, als die Grieg’schen Werke während der öffentlichen Probe in der Kirche erklungen waren, hatte Johnston das Publikum noch mit einer süffig wachsenden C-Dur-Solo-Suite Johann Sebastian Bachs zusätzlich erfreut.

Zunächst starteten aber die Wildgänse hinter dem Schloß – pünktlich, als besäßen sie eine Uhr und einen exakten Fahrplan – ihren 20:00-Uhr-Schnatterangriff, was den Rezensenten an eines seiner liebsten Kochbücher erinnerte »Gans schön weihnachtlich« …

CD-Tip: Edvard Grieg »Lieder«, Lise Davidsen (Sopran), Leif Ove Andsnes (Klavier), erschienen bei Decca, Buchempfehlung: »Gans schön Weihnachtlich«, sechzehn Rezepte für die Zubereitung eines festlichen Gänsebratens (nein, natürlich sechzehn verschiedener Braten), Hölker-Verlag

Nielsen, der uns neben Sinfonien gerade durch Werke wie der Aladdin-Suite bekannt ist, pflegt auch in seinem Quintett einen teils orchestralen Klang. Zhu, Cicalese, Eichenauer, Errera und Johnston fanden sich zu einem veritablen Streichorchester zusammen, in dem zunächst die erste Violine konzertante Soli übernahm. Der sehr bewegliche Aufbau zeigte sich unter anderem im luftigen Streichtrio von Violine, Viola und Cello, zu dem die jeweils zweite Violine und Viola pointierte Pizzicati spendierten.

Auch das ist typisch für Nielsen – er überrascht. Denn der vierte Satz beginnt scheinbar mit einer Coda-Figur, an die sich freilich nicht der Schluß anfügt, sondern der Satz erst beginnt, um später um so energievoller zu enden.

Wer nach der Pause zu sehr ins Frösteln geraten war, dem half mit Sicherheit Edvard Griegs zweites Stück zu innerem Aufbau und Erwärmung, denn das Streichquartett g-Moll Opus 27, von Karen Gomyo und Andrea Cicalese (Violinen), Lars Anders Tomter (jene legendäre da-SaloViola) und Andreas Brantelid (Violoncello) präsentiert, klang nur wenig nordisch (obwohl manche solcher Farben eingeschlossen sind), sondern verriet ein italienisch inspiriertes Temperament.

Um so schöner, daß das Quartett die Furiosi nicht überschäumen, sondern Raum ließ für Duette, wie zwischen Viola und Violoncello. Andreas Brantelids Kantabilität mündete in einem fein balancierten Piano. Vor dem italienisch belebten Presto al Saltarello durfte das Intermezzo die volkstümliche Seite Griegs demonstrieren.

23. August 2025, Wolfram Quellmalz

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