Farbbetrachtungen

Orgelspaziergang am Sonnabend erwies sich als großer Erfolg mit einer Tendenz zur Massenbewegung

Solche oder ähnliche Veranstaltungen mag es schon gegeben haben, doch die letzte vergleichbare in Dresden liegt lang zurück. Zudem gelang mit dem »Orgelspaziergang« am Sonnabend ein ganz besonderes Erlebnis, was über ein dreifaches Konzert an drei Orgeln hinausging. Domorganist Sebastian Freitag, Kreuzorganist Holger Gehring und Frauenkirchenorganist Niklas Jahn hatten zu einem Spaziergang zu und zwischen ihren Kirchen eingeladen. In drei Teilen waren die Silbermann-, die Jehmlich- und die Kern-Orgel zu erleben, und es war schon erstaunlich und bemerkenswert, daß der ganze Ablauf so reibungslos und exakt paßte. Geradezu minutengenau begannen und endeten die Konzertteile – bei weitem keine Selbstverständlichkeit und nicht nur in Anbetracht des späten Endes (23:15 Uhr) sehr zu begrüßen. Schließlich waren zu dieser Stunde viele noch auf die dann weniger verkehrenden Busse und Bahnen angewiesen.

Was an der Idee inhaltlich schön war und den Wert des Orgelspaziergangs noch steigerte, war die Tatsache, daß hier weder die Orgeln gegeneinander »ausgespielt« wurden noch Gelegenheiten zur Selbstdarstellung gegeben gewesen wären. Die drei Hauptorganisten präsentierten sich nicht jeweils an ihren Instrumenten, sondern jeder an jeder Orgel. Das Programm mit einem Schwerpunkt bei der französischen Orgelliteratur hätte glatt noch Anlaß gegeben, den rein musikalischen Kreis aufzuweiten und noch mehr Bewegungsmöglichkeit zu schaffen.

Gemeinsamer Abend: Holger Gehring (links) und Sebastian Freitag (rechts) lauschen dem Kollegen Niklas Jahn in der Kreuzkirche, während dieser improvisiert, Photo: NMB

Auf diese Weise gab es im Nebeneinander des Vergleichens viel Miteinander. Sebastian Freitag zum Beispiel eröffnete die Konzerte jeweils mit einem der Choräle von César Franck. Zum Jubiläum 2022 waren sie alle zu hören gewesen – verteilt über das ganze Jahr. Jetzt gab es sie alle an einem Abend, mit dem dritten Choral an der Silbermannorgel, für die er ja eigentlich viel zu neu und modern ist. Doch Sebastian Freitag wagte es »dennoch«, den Zyklus »gerade hier zu vollenden« und freute sich über die vielen Besucher noch zu so später Stunde. Am Einlaß der Frauenkirche hatte es anfangs »ausverkauft« geheißen, nun zeigte sich, daß – ein bißchen wider den Erwartungen – kaum Teilnehmer abgesprungen waren.

César Francks Choräle entfalteten sich in der Tat individuell, zunächst mit Andacht, aus der sich der jeweils erdachte Choral (ohne realen Text) kantabel heraushob. Vor allem der zweite (in der Frauenkirche) und erste Choral (Kreuzkirche) münden in hymnische Finalteile, doch auch der dritte bewahrte im rechten Maß seinen Wohlklang in der Hofkirche.

Niklas Jahn begann an der aus dem Elsaß stammenden Kern-Orgel in der Frauenkirche einen französisch-sinfonischen Programmteil mit Olivier Messiaen, Eugène Gigout und Louis Vierne, an den Holger Gehring mit weiteren Vierne-Stücken anschloß. Messiaens helle, fast clusterartige Akkorde (»Les yeux dans les roues«) flackerten ebenso beeindruckend, wie Gigouts Minuetto eine tänzerische Walzernähe offenbarte. Mit Viernes Toccata aus der Quatrième suite op. 55 setzte Holger Gehring die Licht- und Farbspiele fort, die ebenso kräftige Kontraste wie ein luzides chromatisches Spektrum bargen.

Ohne Registranten: diesmal halfen die drei Kollegen einander aus (hier an der Silbermann-Orgel), Photo: NMB

In der Kreuzkirche blieben die Farben erhalten, gewannen aber rhythmische Strukturen hinzu. Etwa mit Guy Bovets »Salamanca«, einem effektvollen Bolero für die Orgel (Niklas Jahn). Bei Franz Liszts Präludium und Fuge über B-A-C-H (Holger Gehring) konnte man wiederum staunen, wie der Komponist, der ja auf der Orgel nur bedingt zu agieren wußte, den Baß ins Manual verlegt hatte.

Niklas Jahn führte im Orgelspaziergang eine seiner Stärken vor, mit denen er auch in den regulären Programmen des Orgelzyklus‘ noch auftreten wird: der Improvisation. Während er in der Kreuzkirche paßgenau über Couleurs (Farben) phantasierte, fügte er später an der Silbermann-Orgel Betrachtungen über Verwandlungen (»Metamorphose«) an. Dabei waren schon die »Farben« von vielen Verwandlungen und Schichtungen gekennzeichnet, denn Jahn arbeitet einerseits mit der Überraschung des Allmählichen, andererseits setzt er gern »Geräuschpfeifen« ein, die sonst der Beimischung dienen und keinen reinen tonalen Klang anbieten, sondern rauhe Töne, Schnarren, dumpfes Pochen oder den Eindruck von Wind.

Holger Gehring ging vielleicht am weitesten durch die Jahrhunderte, zumindest den Lebensdaten der Komponisten nach. Natürlich durfte Johann Sebastian Bach nicht fehlen, Toccata und Fuge d-Moll BWV 565 war der krönende Abschluß. Aber (vielleicht) mehr noch entzückte das Kleinod der Choralbearbeitung »Vater unser im Himmelreich« von Georg Böhm. Böhm war für den jungen Bach wichtig gewesen.

24. August 2025, Wolfram Quellmalz

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