Text und Ton

Alte Musik in Leubnitz konzentrierte sich auf Texte

»Ins Innere hinaus« hieß das Konzert am Dienstagabend in der Kirche Altleubnitz, das mehr als nur »Musik und Texte« wie versprochen enthielt, sondern sich als durchkomponierter Konzeptabend erwies. Jan Katzschke (Orgel) und Dorothea Zimmermann (Gesang) musizierten gemeinsam Musik aus dem 17. Jahrhundert, Christian Lehnert las dazu aus seinem 2020 erschienen Buch »Ins Innere hinaus« (Suhrkamp). Es erzählt von Begegnungen, Momenten, von Engeln und Mächten und sollte manche Brücke zu den gesungenen Texten offenbaren, die in den Fassungen von Heinrich Schütz, Andreas Hammerschmidt und Matthias Weckmann zu Gehör gebracht wurden.

Mit »Eile mich Gott zu erretten« (SWV 282, aus den Kleinen geistlichen Konzerten) hatte Dorothea Zimmermann anfangs spürbar Mühe, freilich ist Schütz, wie der Vergleich zeigen sollte, auch anspruchsvoll. Etwas schneidend drang der Sopran durch, hatte aber bereits den Ausdruck der Tiefe und des Falls, wenn Dorothea Zimmermann dem »Hilf mir!« die Abgründe von »gehöhnet« oder »Übel« gegenüberstellte. Die über den Abend verteilten Schütz-Kompositionen (»Bringt her dem Herrn« / SWV 283, »Was hast du verwirket« / SWV 307 und »Ich will den Herren loben allezeit« / SWV 306) sollten diese affektive Qualität behalten und immer wieder auf den Inhalt der Texte verweisen. In der Anlage an sich schlicht, richteten die Geistlichen Konzerte den Blick stets auf das wesentliche, wobei in der Steigerung des angefügten »Alleluja« (SWV 306) ein erstrebenswertes Licht und Ziel markiert zu werden schien.

Das gab es teilweise auch in den gelesenen Texten von Christian Lehnert, die sich jedoch eigentlich der klaren Einordnung entzogen, weil sie Momente des Übergangs, der Schattengrenze, der Intimität kennzeichneten. Ein Bausoldat, der plötzlich, unbeirrbar und zielstrebig, aber widerrechtlich, die Kaserne verläßt – kein Ausbruch allerdings, kein Aufruhr. Oder der irische Seefahrer Brendan, der Engel sieht – erkennt er sie wirklich oder sind es Traumgespinste seiner Phantasie, die Vögel zu anderen Wesen umformen? Ein Wächter unklarer Herkunft, der seine Kreise durchs und ums Dorf zieht – worüber wacht er? Ist er einfach eine heimatlose Seele?

Christian Lehnert, Jan Katzschke und Dorothea Zimmermann in der »Bilderkirche« Altleubnitz, Photo: NMB

Allerdings waren die Erzählungen länger als der Augenblick des Moments, nahmen großen Raum ein. Dennoch ergaben sich in der Musik Anknüpfungspunkte, noch über das allgegenwärtige Abendthema der Jesusliebe hinaus.

Mit Andreas Hammerschmidt und Heinrich Scheidemann waren auch andere Komponisten erklungen, die – vor allem Hammerschmidt – für Freude und eine Hoffnung standen, die sich musikalisch nicht nur darstellte, sondern geradezu fühlbar wurde. Andreas Hammerschmidts »Was ist doch der Menschen Leben« stellte beschwingt, ja wogend das Leben dem Gras gegenüber, das erst gedeiht und dann geerntet wird. Sein Bekenntnislied »Alles ist mir Gott allein« endete nicht nur mit einem aufstrebenden »Halleluja«, es steigerte sich zum Hymnus – hier schien Dorothea Zimmermann geradezu beflügelt. Bei »Sey nu wieder zufrieden, meine Seele« mit seinem versöhnlichen Ton und mildem Stimmverlauf wiederholte sich dies noch einmal.

Wer dazwischen Zeit zum Reflektieren brauchte, dem hatte Jan Katzschke manche funkelnde Preziose mitgebracht, denn zwischen den Liedern und Texten steuerte er auf der Truhenorgel eine Toccata und eine Canzona von Matthias Weckmann bei sowie von Heinrich Scheidemann eine Gagliarda und ein Praeambulum d-Moll. Schon die Toccata schien in freier Form einem Tanz zu folgen, die Canzona tat es nicht minder, nun aber mit dem Flötenchor der Orgel – Christian Lehnert hatte das Thema Tanz in seinen Texten ebenfalls berührt. In Heinrich Scheidemanns Orgelstücken wiederum fielen der helle, fröhliche und singende Ton auf – verspielt und kunstvoll präsentierte Jan Katzschke die Gagliarda, die ein Liedmotiv variieren läßt, und führte mit dem Praeambulum eines jener Werke vor, aus denen andere später Präludium und Fuge entwickeln sollten.

Gedichte über Libellen, denen eine Absicht im Warten unterstellt wird, über Rauchschwalben oder den Aufbruch der Wildgänse rundeten das Programm ab. Letztlich durfte die Musik aber den Abend mit Heinrich Schütz‘ »Nun will sich scheiden Nacht und Tag« als Zugabe beenden.

10. September 2025, Wolfram Quellmalz

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