Miguel Sepúlveda im Konzert mit der Dresdner Philharmonie
Wegen eines »digitalen Kollaps‘« erscheint dieser Text leider sehr verzögert.
Vielleicht hätte man das Konzert wie die normalen Sinfoniekonzerte der Dresdner Philharmonie zweimal planen sollen, um ihm auch äußerlich den Rahmen eines vollwertigen Abends zu verleihen. So dachten vielleicht manche, daß mit nur einer Aufführung, einem modernen Werk im Programm und einem Nachwuchsdirigenten nicht ganz so viel zu erwarten sei – falsch gedacht!
Denn wenn man den Chefdirigenten des Orchesters, Sir Donald Runnicles hört, erkennt man leicht, daß er Miguel Sepúlveda (»Runnicles Fellow«, also eine Art Assistent) nicht nur schätzt, sondern ihm sehr viel zutraut. Am Sonnabend setzte der junge Portugiese diesen Vertrauensvorschuß in lebhafte Klangfarben um, beginnend mit »Modos de expressão ilimitada« für Streichorchester seines Landsmanns Eurico Carrapatoso. Ganz so unbegrenzt, wie der Titel (wörtlich: »Unbegrenzte Ausdrucksmöglichkeiten«) es verspricht, war das Werk zwar nicht, sondern bediente sich der Hörgewohnheiten, doch wuchs es in fünf Sätzen durchaus. Schwungvoll begann das Lento, auch wenn es zunächst noch etwas altmodisch wirkte. Doch über die Orchestersoli (Violine, Viola, Violoncello mit emotionalem Vibrato) wuchs es bald aus den Gewohnheiten heraus. Die Vivo-Sätze zeigten sich ungleich moderner, der zweite besonders mit Pizzicato belebt. Dazwischen eine ruhig fließende Elegia – von den Gewohnheiten kommend, mag sein, aber über den symmetrischen Satzaufbau schwang sich Eurico Carrapatosos Komposition in differenziert sinfonische Ausdrucksweisen.

An diesen lag Miguel Sepúlveda wohl sehr viel, und so hatte er sich für das Konzert für eine »amerikanische« Orchesteraufstellung (Violinen nebeneinander, Violoncelli rechts) entschieden, was angesichts mancher Stücke im Programm überraschte. Zum Beispiel hätte man Carl Reineckes Flötenkonzert D-Dur auch »deutsch« (Violinen gegenüber) spielen können. Das reizvolle Stück, wie »Modos de expressão ilimitada« von 1998 erstmalig im Programm der Dresdner Philharmonie erwies sich als Fund und Bereicherung, die mehr bot als nur eine Möglichkeit für Solo-Flötistin Kathrin Bäz, sich virtuos zu entfalten. Allein schon deshalb, weil es mit den Hörnern beginnend bis zu den klangvollen Pauken beständig Echos und Kommentare der Orchesterkollegen zur Flöte gab. Vor allem im dritten Satz, in dem die Klarinetten fleißig mitmischten, wurden diese Partnerschaften deutlich.
Auch das gehört zu einem besonderen Abend: die Blumen erhielt die Solistin aus der Hand ihrer Orchesterkollegin Marianna Julia Żołnacz. Als Dank für den Applaus spendierte sie hernach noch ein Stück Astor Piazzolla.
Mit einem Hornruf, geschlossenen Streichern und Holzbläsern, aus denen vor allem die Oboe auftauchte, begann Franz Schuberts Große C-Dur-Sinfonie. Vor allem hier beeindruckte Miguel Sepúlvedas flüssiger, genauer Stil, seine Interpretation, die viele Stimmen gleichzeitig klingen ließ, aber gebunden und schwungvoll war – das erinnerte ein wenig an Johannes Brahms‘ Serenaden. Weniger das Herauszeichnen einzelner Details lag dem Dirigenten am Herzen, sondern das Herstellen eines ganzen, geschlossenen Klangs und einer Klang- bzw. Farbumformung, was letztlich auch die »amerikanische« Aufstellung erklärt.
Dazu gehört, daß er auch im Baßrhythmus von Pauken, Violoncelli und Kontrabässen nicht nur einen Schlag oder dumpfen Hall suchte, sondern einen klangvollen Hintergrund fand, womit gerade Umkehrungen im Temperament, wie im bedächtigen Andante con moto, das plötzlich »erwachte«, aber wieder in die Ruhe zurückfand, glaubhaft wurden.
Auf diese Weise sorgte Miguel Sepúlveda für einen geschlossenen Eindruck der »himmlischen Längen« Franz Schuberts und öffnete mit einer ausgefeilten Dynamik die Welt der Romantik in eine Richtung auf Gipfel, wie sie Anton Bruckner erklimmen sollte.
14. September 2025, Wolfram Quellmalz