Mozart in der Midlife-Crisis

»Entführung« kommt trotz guter Besetzung nicht in Schwung

So richtig taufrisch ist Michiel Dijkemas Inszenierung zu »Die Entführung aus dem Serail« von 2017 nicht mehr, aber deutlich jünger als Produktionen wie »La bohème« oder »Rosenkavalier«. Irgendwie zwischen altbewährt und Neuproduktion, doch das beschert der aktuellen Serie statt ausgewogener Balance eher eine Midlife-Crisis. Am vergangenen Freitag zumindest blieb der gewitzte Blick Mozarts und seines Librettisten Johann Gottlieb Stephanie d. J. auf Spanier, Engländer und Türken, auf Nationalkonflikte, Eigenarten und die erlösende Aufhebung von Klischees in der Semperoper auf der Strecke. Dabei hätten die Voraussetzungen doch kaum besser sein können – die Produktion war nach 29 Aufführungen gut »eingefahren«, die Effekte noch frisch, die Besetzung schien vielversprechend: neben dem eben noch in der großartigen Wiederauflage von Händels »Saul« [unser Bericht folgt] glücklich agierenden Leo Hussain (Musikalische Leitung) war mit Regula Mühlemann als Konstanze eine der derzeit besten und gefragtesten Mozart-Stimmen ans Haus zurückgekehrt.

Oder war der Abend schon vor Beginn »ausgebremst«? Zumindest mußte der als Belmonte besetzte James Ley am Morgen krankheitsbedingt absagen, was zu einer unorthodoxen Notlösung führte: Manuel Günther, der die Produktion kennt (er war darin als Pedrillo zu erleben) wurde flugs aus München geholt und sang aus dem Orchestergraben, Gunda Mapache, als Abendspielleiterin (!) noch besser vertraut mit den Abläufen, übernahm die szenische Darstellung Belmontes auf der Bühne.

Osmin (hier in der Premierenbesetzung: Dimitry Ivashchenko) und Pedrillo (Manuel Günther), Photo: Sächsische Staatsoper, © Jochen Quast

Viel mehr lag eine Ursache für den fehlenden »Pep« wohl darin, daß die Personnage nicht ausgewogen, nicht gleichgewichtig war und das Ensemble nicht so recht zueinanderfand. Ante Jerkunica ging als Osmin jeglicher komödiantischer Witz ab, den die Inszenierung eigentlich birgt (und erfordert). Er wirkte stimmlich eher rauh und verlieh dem Hüter Bassa Selims einen tumben, groben Charakter. Auch Aaron Pegram überzeugte als Pedrillo überhaupt nicht. Der erfahrene Charakterdarsteller, sonst gern bei ziemlich extremen und extravaganten Figuren zu Hause, machte aus Belmontes Diener einen clownesken Sonderling – was bitte soll Blonde an ihm finden, daß ihre Liebe stark und treu würde? In der sonst mit witzigen Einfällen gewinnenden Inszenierung mit Krokodilen, Kamelen und Schildkröten auf der Bühne und Kleidern, bei denen man sich fragt, ob sie am Saum voller Schlamm und Seegras sind oder ob es eher die Ränder des süßen Kakaos sind, durch den die Produktion die Türkenmode der Mozartzeit zieht, wirkte Pedrillos Kostüm übertrieben albern. Jaron Löwenberg blieb als Bassa Selim souverän, verfehlte aber in Relation dessen überragende Stellung.

Rein musikalisch konnte diese »Entführung« also auch nicht überzeugen. Mochten Janitscharenmärsche markant klingen, die Bläser sich belebend mischen (wie gleich im ersten Aufzug) – einen pointierten Mozart kennt man von der Kapelle dennoch schärfer, schmiegsamer, und auch präziser. Stimmen und Orchester waren vor allem im ersten Aufzug noch nicht beieinander.

Bassa Selim (hier in der Premierenbesetzung: Erol Sander) und Konstanze (Simona Šaturová), Photo: Sächsische Staatsoper, © Jochen Quast

Manuel Günther sang Belmonte mit wachsender Sicherheit, obwohl wenn er anfangs, was allerdings nachvollziehbar war, noch stark an den Noten hing. Über den Abend konnte er zusetzen und ließ Belmonte im letzten Akt (Beginn der Flucht: »Ich baue ganz auf deine Stärke,

Vertrau‘ oh Liebe! deiner Macht!«) selbstbewußt strahlen. Gunda Mapache sorgte in der Tat für eine gewandte Darstellung auf der Bühne. Trotz fehlenden Esprits ergab sich damit eine aus der Frische der Musik wachsende Spontanität, so daß aus einer klemmenden Palastpforte keine Panne wurde.

Links: Regula Mühlemann feierte als Konstanze ein Rollendebut, Photo: © Shirley Suarez, rechts: Jasmin Delfs, Photo: © Marco Borelli

Am überzeugendsten und damit als Führungsrollen gelangen Konstanze und Blonde. Jasmin Delfs spielte als Zofe Konstanze nicht nur mit Lyrismen, sie verkörperte die etwas neckische, abenteuerlustige Blonde zudem selbstbewußt und charmant (betörend: »Durch Zärtlichkeit und Schmeilmcheln« im zweiten Akt). Regula Mühlemann erwies sich als Konstanze letztlich als der erhoffte Glücksgriff. Denn ihrem schlanken, nach wie vor mädchenhaften Sopran konnte sie – nach Belieben unterschwellig oder direkt – ein dramatisches Beben beifügen und ihn agil der Situation, von der Treuearie (»Ach ich liebe, war so glücklich«, erster Akt) bis zu »Martern aller Arten« (zweiter Akt), anpassen.

27. September 2025, Wolfram Quellmalz

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