Casanovas Weltsichten

Ensemble Fürstenmusik reist mit dem Liebesabenteurer durch Europa

Sucht man nach »Giacomo Casanova« in einem Bücherkatalog, finden sich darin über 800 (!) Einträge. Schon bei dieser Vielzahl könnte man sich fragen, ob unser Bild des Abenteurers und Lebemanns mit seinen erotischen Eskapaden (oder waren es nur Erzählungen?) wirklich richtig ist. Immerhin war Casanova als Jurist ausgebildet, arbeitete als Bibliothekar und Übersetzer, interessierte sich für Alchemie. Uns ist er vor allem als Schriftsteller und Dichter bekannt …

Es wurde also Zeit, sich des vor 300 Jahren geborenen Venezianers wieder einmal zu nähern, was das Ensemble Fürstenmusik (Anne Schumann, Violine, Klaus Voigt, Viola da spalla und Sebastian Knebel, Cembalo) am Dienstag im Marcolini-Palais ausgiebig tat. »Die heimliche Gondel« hieß ihr Programm, das eine Reise mit Casanova durch viele Höfe Europas beschrieb. Erstmals mit dabei war Konrad Nepomuk Knebel, der aus den Memoiren Casanovas las, wobei die erotischen Anekdoten diesmal eben nicht im Mittelpunkt standen, wenngleich die Liebe praktisch im Raum blieb. Vielmehr offenbarte sich Casanovas spitze Feder, sein pointierter, aber auch weitsichtiger, weltläufiger Blick.

Anton Graff, Portrait Casanovas, (zuvor Alessandro Longhi zugeschrieben, um 1766), Bildquelle: Wikimedia commons

Daher verwunderte es nicht, wenn sich manches, was gelesen wurde, in den Werken wiederfand, zumindest den Emotionen nach. Der Mailänder Carlo Ambrogio Lonati, Konzertmeister am Hof Christinas von Schweden (womit sich ein Bogen zu früheren Programmen des Ensembles Fürstenmusik schloß) durfte den Reigen mit einer Sonate für Violine und Basso continuo eröffnen, zeigte im ersten Satz große Kontraste zwischen der Ruhe des Adagios und dem geradezu agitativen Presto – eine emotionale Spanne, die Lonati hernach auf die Sätze aufteilte.

Mit einer Suite Jean-Féry Rebels ging es anschließend nach Frankreich, in dem Casanova Dummheiten und Moden vorfand – der Geist der Pariser gebäre wahres wie falsches ununterscheidbar. Ob Rebel deshalb melancholisch klang? Zumindest Prélude und Sarabande schienen der Mode mélancolique zu folgen, während die Courant, leicht hüpfend, an den französischen Tanz anknüpfte.

Insgesamt schienen die Italiener im weitesten Sinne die Oberhand zu behalten, denn auch Casanovas England-Besuch war mit dem Werk eines gebürtigen Römers verbunden: Pietro Castrucci folgte mit 21 Jahren Händel nach London. Sein Andante war – ganz unmelancholisch – heiter. Aufgeweckt wirkte die Sonate Opus 2 Nr. 1, ganz als wäre sie so sauber, wie Casanova England mit seinen schnellen und preisgünstigen Postwagen beschrieb. Der Bedenklichkeit des zweiten Satzes (Andantino moderato) folgte prompt eine Lesung über Spione, die sonntags darauf achten, daß nirgend gespielt wird – weder mit Karten um Geld noch mit Instrumenten im Konzert. Das konnte aber offenbar weder Castrucci in England noch Casanova verdrießen, denn das Andante staccato gelang wiederum frohgemut.

Das Ensemble Fürstenmusik hat schon oft Texte und Musik verbunden oder die Hintergründe zu Werken und Komponisten erhellt. Diesmal war es noch eine Spur lehrreicher und amüsanter, nicht zuletzt, weil der junge Rezitator oder Vorleser so gut eingebunden war – keine Lücken oder Brüche, sondern bündige Anschlüsse zwischen Musik und Memoire. Das war vor allem dann interessant, als Casanova nach Deutschland kam, denn auf Berlin folgten Dresden und Graf Brühl – jener Graf Brühl, der in genau dem Festsaal, in dem das Konzert stattfand, einst (erfolglos) mit Napoleon verhandelte. Verbunden waren beide deutsche Städte durch Franz Benda (was die Tür öffnet, mit Casanova dereinst auch nach Prag zu reisen). Wer von den Komponisten der beste, keckste, närrischste war, ließ sich so allerdings nicht ermessen, vielmehr konnte man sich – ganz ohne strapaziösen Reiseaufwand – daran ergötzen, was europäische Höfe im 18. Jahrhundert an Musik zu bieten hatten. Anne Schumann und Klaus Voigt wechselten dazu fleißig die Bögen (mal länger, mal kürzer), Klaus Voigt ließ es sich nicht nehmen, wieder einmal die sonoren Tiefen seiner Viola da spalla vorzuführen, denn zu Casanovas Italien-Besuch durfte er Antonio Vandinis Sonate für Violoncello und Basso continuo übernehmen.

Nachdem es (laut Casanova) in Sachsen jede Menge Pracht, aber keine Galanterie gegeben hatte, durfte Antonio Vivaldi mit einer weiteren Sonate den Abend in Venedig beschließen. Sein Preludio e Capriccio war musikalisch mindestens ebenso pikant wie Casanovas sonstige Abenteuer. Stoff genug für eine Fortsetzung wäre vorhanden …

1. Oktober 2025, Wolfram Quellmalz

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