Dvořáks Trauer, Rossinis Gelächter

Finnegan Downie Dear spielt mit den Gefühlen und der Staatskapelle

Oftmals gibt es nicht nur hinter Werken eine Geschichte, sondern eine Geschichte hinter der Geschichte – eine Falle für Mißdeutung und gleichzeitig eine Tür zur Inspiration. Finnegan Downie Dear hatte vor einem knappen Jahr im Aufführungsabend Webern, Kurz und Schubert miteinander verschlungen, jetzt feierte er sein Debüt in den Sinfoniekonzerten der Sächsischen Staatskapelle mit einem kaum weniger spannenden Programm: Haydn, Adès und Dvořák. Um jedes der Stücke rankt sich eine Geschichte – Haydns Ausflug in Moll-Tonarten wurde erst später die Trauer angedichtet, Dvořáks Cellokonzert wohnt mit einem Liedzitat ganz dezidiert der Abschied inne. Bei Thomas Adès »Inferno« wiederum handelt es sich um die Suite des ersten Teils aus einem Ballett über Dantes »Göttliche Komödie«. Der komödiantische Funke darin war vielleicht die größte Überraschung an diesem Abend.

Daß Molltonarten zurückgenommener und »trauriger« klingen, haben schon manche Komponisten widerlegt. Felix Mendelssohn machte aus e-Moll ein wahres Fest! Und auch Joseph Haydn verfolgte ursprünglich mit seiner Sinfonie Nr. 44 (Hob. I:44) wohl nicht die Absicht einer Andacht. Im Gegenteil begann das Allegro con brio nach dem einleitenden Adagio-Auftakt mit gewohnter Fröhlichkeit. Der Dirigent hatte sich, bei Haydn etwas überraschend, für eine hybride Orchesteraufstellung entschieden, die mehr »amerikanisch« war, also mit den beiden Violingruppen direkt nebeneinander. Vermutlich, um den folgenden Werken gerechter werden zu können, doch gelang bereits der Auftakt ohne einen Verlust an motivischer Übersicht, schließlich hat Haydn in seiner Sinfonie gerade die Dialoge bzw. Echos zwischen Streichern und Bläsern betont.

Finnegan Downie Dear weckte am Pult der Sächsischen Staatskapelle Dantes Geister, Photo: Sächsische Staatskapelle Dresden, © Oliver Killig

Die Dualität von Raum und Zeit wahrte Downie Dear in dieser Aufstellung mit einer Angemessenheit der Tempi, was sich vor allem in den Mittelsätzen bis zum Trio des Menuetts zeigte, die sich ohne Hetze entwickeln konnten. Neben Raum (Aufstellung) und Zeitmaß legte er Wert auf dynamische Kontraste, was sich bei Adès und Dvořák fortsetzen sollte. Bei Haydn wurden sie in den unterschiedlichen Betonungen der Wiederholungen deutlich. Die Hörner (Solo: Robert Langbein) sollten im weiteren Verlauf noch wichtige Farben beisteuern, zunächst »peitschten« aber die Violinen den ruhigen Fluß im Schlußsatz auf.

Thomas Adès‘ Musik ist in den letzten Jahren bis zu seiner Oper »Powder her face« immer wieder in Dresden aufgeführt worden. Und oft mit Gewinn – doppelbödig, vielschichtig durchleuchtet Adès Geschichten, bietet dem Publikum Klangreize. Im ersten Teil »Inferno« seiner Balletttrilogie konnte man dies wieder erleben, obwohl hier nur in der Suite dargeboten.

In acht Teilen wurden Szenen aus Dantes »Göttlicher Komödie« wach: fast gleißend tat sich ein Licht auf, das – alle Hoffnung fahrenlassend – den Ausgangspunkt der Reise bestimmte. Was anfangs noch eine rhythmische Metrik erkennen ließ, erwies sich bald als lebendiger, turbulenter, mitreißender und emotionaler Erzählstrom. Genau da liegen Adès Begeisterungsfaktoren: einerseits in der quicklebendigen Wandelbarkeit, andererseits der teils figurativen, teils schimärenhaften, gewollt verwischten Darstellung mit einem immer neu amalgamiertem Mischklang. Das sorgte schon beim Hören für Höchstspannung und dürfte nicht nur bei Ballettfreunden den Wunsch ausgelöst haben, dies auch einmal getanzt zu sehen.

Dazu verfügt Thomas Adès über einen großen Witz, wie sich im siebten Satz (von Schlangen gebissene Räuber) à la »berauschter Rossini« zeigte, womit sich Finnegan Downie Dear und die Sächsische Staatskapelle spontanen Zwischenapplaus einhandelten. Im wirklich letzten Satz gefror Satan im Eissee.

Einstand des aktuellen Capell-Virtuosen mit Dvořák: Gautier Capuçon, Photo: Sächsische Staatskapelle Dresden, © Oliver Killig

Nachdem sich »alle beruhigt« hatten, stand nach der Pause das Cellokonzert mit Capell-Virtuos Gautier Capuçon auf dem Programm, das manche Qualität des Abends fortsetzte, wie den farbigen Dialog der Stimmen (immer wieder die Horngruppe). Gautier Capuçon spielte – mit viel Blickkontakt zum Dirigenten und Gastkonzertmeister Frank-Michael Erben – gleichermaßen sinnlich wie leidenschaftlich, bot außer lyrischer Kantabilität aufgewühlte Rauhheit. Finnegan Downie Dear folgte dem genauestens und bot mit der Kapelle fast expressive Romantik.

Zum Dank, charmant auf deutsch angekündigt, spielte Gautier Capuçon mit der Cellogruppe um Konzertmeister Sebastian Fritsch und den Kontrabässen eine Liedbearbeitung von Dvořáks »Laßt mich allein«, das der Komponist schon in sein Cellokonzert eingefügt hatte.

14. Oktober 2025, Wolfram Quellmalz

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