Kreuzchorvesper mit hymnischen Klängen
Der 19. Sonntag nach Trinitatis – das klingt nach nichts besonderem, keinem Feiertag. Erntedank ist vorbei, der Gedenkmonat zum Abschluß des Kirchenjahres steht unmittelbar bevor – was sollte also diesen Sonntag bzw. die Vesper am Vorabend aus der langen Reihe der Sonntage herausheben?
Der Dresdner Kreuzchor fand eine einzigartige Antwort der Besinnung und Fokussierung, die – allein mit den Männerstimmen des Chores – musikalisch äußerlich scheinbar dunkler war, jedoch manches Licht entzündete, manche innere Stimme sich hymnisch aus der Mitte erheben ließ.
Den Beginn zeichneten litauische Kompositionen unterschiedlich aus. Diana Čemerytė schreibt in diesem Schuljahr die neuen Introitus zu den Sonntagen und hatte für »Siehe, jetzt ist die Zeit der Gnade, siehe, jetzt ist der Tag des Heils!« Texte aus den Korintherbriefen sowie aus Psalm 32 zusammengefügt. Aus dem Dunkel erhoben sich die A-cappella-Stimmen mit einem weichen Echo des kleinen Teilchores. Auffallend war, wie wenig sich die Melodie zu »bewegen« schien, vielmehr führte alles bald in einen schwebenden Klang – einen Moment der Verstetigung und Verinnerlichung, der freilich mit einem Aufrichten (»Amen«) schloß.
Čemerytės Landsmann Vytautas Miškinis ging für Cantate Domino einen deutlich anderen Weg mit einer lebhafteren Ausprägung. Gleichzeitig ist es eine seiner bekanntesten Kompositionen mit hohem Wiedererkennungswert – also ein guter »Träger« für ein Kirchenlied. Die Kruzianer arbeiteten unter der Leitung von Kreuzkantor Martin Lehmann das Gegenüber der hymnischen Cantate-Zeilen und des fließenden Textes dazwischen flexibel und expressiv heraus.

Hatten die Männerstimmen schon hier keinen im Vergleich zum gesamten Chor wirklich »dunkel« Eindruck (im Sinne einer Stimmung) hinterlassen, so gab es mit Felix Mendelssohns Vespergesang (Ad vesperas Dominicæ XXI post Trinitatis, Responsorium und Hymnus für Männerchor, Violoncello, Kontrabaß und Orgel MWV B 26) vielleicht einen noch erstaunlicheres Beispiel für einen im Verhältnis zum tonalen Umfang der Besetzung weiten und hellen Eindruck. Mit Chordirigent Sebastian Herrmann an der Continuoorgel, Ulf Prelle (Violoncello) und Donatus Bergemann (Kontrabaß) stellten die Kruzianer eine Verbindung irdischer Anreden bzw. Bitten und himmlischer Zuwendung her. Neben kurzen Solosequenzen und verteilten, mehrfachen Soli sind auch die Chorpassagen bei Mendelssohn mit je vier Stimmen (TTBB) besetzt. Aus diesen Voraussetzungen gewann der Kreuzchor eine ungemein legendige Darstellung mit einem erneut hymnischen Schlußteil (»O lux beata« / »Oh selig Licht«), der fast einer choralähnlichen Konklusion entsprach.
Hinsichtlich Flexibilität und Abwechslung sollte es an diesem Vorabend eines keineswegs gewöhnlichen Sonntages noch weitere Beispiele geben. Nachdem Ulrich Heine die große Jehmlich-Orgel bereits zum Einzug gespielt hatte, präsentierte er nach dem Gemeindelied (EG 324 »Ich singe dir mit Herz und Mund«) Mendelssohns zweite Orgelsonate, die nach einem besinnenden Anfangsteil wiederum im Stile eines Hymnus‘ schließt – noch einmal also »musikalisches Licht«.
Angela Brandt übernahm die Wegscheider-Orgel für das Continuospiel in Constantin Christian Dedekinds »Alleluja! Lobet den Herrn«. Tenor Frido Viehweger und Amon Goldberg (Baß) sangen ein wunderbares, ebenso sicher wie klangschön vorgetragenes Duett. Noch berührender gelang vielleicht Cantemus Domino von Lodovico da Viadana mit dem bereits erstaunlich melodischen und mühelosen Baß von Jonas Pappelbaum – nicht nur ein großartiges Beispiel für die Musik des beginnenden 17. Jahrhunderts, sondern gleichzeitig ein »Spiegel in die Vergangenheit«, wenn man an Vytautas Miškinis zu Beginn dachte, der einen thematisch ähnlichen Text aufgegriffen hatte.
Mit Carl Reinthalers »Jauchzet dem Herrn, alle Welt« (aus: Acht kurze Motetten für Männerchor Opus 43), übernahm nun wieder a cappella der Männerchor das Programm, das mit Noble Cains herrlichem »The Lord is my Shepherd« zu einem beschwingten Ende kam – noch einmal schwebten hymnische Klänge durch die Kreuzkirche.
26. Oktober 2025, Wolfram Quellmalz
Am kommenden Sonnabend, 1. November, lädt der Dresdner Kreuzchor zwischen 15 und 18 Uhr zum Vorsingen ein. Jungen im Grundschulalter können Kreuzkantor Martin Lehmann vorsingen, Eltern erhalten Informationen zum Ausbildungsangebot. Anmeldung unter: kreuzchor.de/nachwuchs.