»Tosca« bleibt an der Semperoper brandheiß
Giacomo Puccinis »Tosca« in der Inszenierung von Johannes Schaaf zählt längst nicht zu den ältesten Produktionen der Semperoper, auch bis zum Silberjubiläum ist nach der Premiere 2009 noch etwas Zeit. Dennoch schaffte es die neben Mozarts »Zauberflöte« wohl am meisten gespielte Oper vergangene Woche bereits zu ihrer 90. Aufführung, denn trotz der nüchternen, modernen Ausstattung (Bühnenbild: Christof Cremer, Kostüme: Petra Reinhardt) kann der Publikumsliebling neben neueren Produktionen bestehen. Dafür sorgen allein schon Johannes Schaafs psychologisch nuancierte Ausleuchtung und handwerklich geschickte Einrichtung.
Wenn dann noch Starsänger als Gäste erwartet werden, diesmal gleich zwei, sind die Vorstellungen frühzeitig ausgebucht. Im Fall von Aleksandra Kurzak als Floria Tosca und Roberto Alagna als Mario Cavaradossi kam noch die Brisanz der Beziehung dazu, denn beide sind »im wirklichen Leben« ebenso ein Paar. Doch »Szenen einer Ehe« waren trotzdem nicht zu erwarten. Oder loderte vielleicht doch ein wenig häusliche Eifersucht mit auf der Bühne? Zumindest verkörperte Aleksandra Kurzak so wahrhaftig wie kaum eine Tosca zuletzt die emotionale Seite der Figur, aber theoretische Fragen wie oben waren schnell vergessen – Aleksandra Kurzak schien nicht in die Rolle Toscas zu schlüpfen – da gab es nur noch eine Floria, die über ebenso hinreißende Verve in ihrer Liebe (Duett mit Mario im dritten Akt) und Hingabe (Arie »Vissi d’arte« / »Ich lebte für die Kunst« als Wendepunkt der Geschichte) verfügte wie sie glühenden Haß über Baron Scarpia goß – was diesem letztlich übel bekam. Aber Aleksandra Kurzak alias Tosca konnte auch mit feinen Kantilenen verzaubern.

Dagegen schien Mario Cavaradossi in der Reihe der Aufführungen und Besetzungen ein interessanter, neuer Gegenentwurf, denn eigentlich war das, was Roberto Alagna pflegte, gar kein Belcanto im Sinne geschmeidigen Wohlklangs. Vielmehr hatte er eine ungemein heldische Ausstrahlung, unterstrich die intellektuelle Seite Cavaradossis, schließlich ist der Maler oder Künstler ja nicht ad hoc zu Feinfühligkeit und Emotionalität verpflichtet. Als Voltairianer und politisch aktiver (zumindest bekennender) Mensch handelt der Cavaliere, wenn er etwa den geflohenen Cesare Angelotti versteckt, sowohl aus Überzeugung wie mit Kalkül. Diese Authentizität tat der Rolle richtiggehend wohl und warf die Frage auf, ob reiner Belcanto hier nicht künstlich erschienen wäre – noch in der 90. Vorstellung kann man also »auf andere Gedanken« kommen.

Daß diese vermeintliche Ungleichheit in der Anlage der Figuren dennoch zu keinem Bruch führte, lag einerseits im überzeugenden Spiel der beiden Gäste, andererseits im umsichtigen, sängergerechten Dirigat von John Fiore, der die Sächsische Staatskapelle sicher durch den Abend lotste, Spannungsmomente sorgsam aufbaute und die verfügbare Farbe großzügig einsetzte – schon am Beginn haftete dem Tuttiakkord ein rauher Unterton an, der die Fragilität der Stimmung in Rom herausstrich. Polizei, Spitzel und Spione üben eine vorübergehende, brutale Macht aus, das Gift dieser Zeit schimmerte unterschwellig in der Musik durch. Bevor es im dritten Akt zum tödlichen Finale kam, durfte die Cellogruppe im Chor instrumentalen Belcanto pflegen, an den sich ein sagenhaftes Piano-Legato der Soloklarinette anschloß.

Cavaradossi und Tosca konnte dies freilich nicht mehr helfen. Ebensowenig das wunderbare Hirtensolo (Kapellknabe Maximilian Wiederhold), das nur den Tod ankündigte. Allerdings war Scarpia da bereits verloren, weil ihn Tosca erdolcht hatte. Oleksandr Pushniak, bereits in der letzten Spielzeit als Scarpia besetzt, gewann im zweiten Akt, ganz in Rot gekleidet, an Überzeugungskraft. Zu Beginn, noch mit leiseren Tönen, mangelte es ihm an der Gefährlichkeit eines Polizeichefs. Dagegen spielte Markus Marquardt als Mesner seine ganze darstellerische Erfahrung aus, die mit einer winzigen Geste oder einem einzelnen Ton Präsenz schafft – »Fuori, Satana, fuori!« (»Weiche, Satan, weiche!«) war nicht einfach gesagt oder gesungen, sondern barg ein höllisches Fauchen auf »Satana«!
Nicht vergessen werden dürfen der Chor (Einstudierung: Jonathan Becker) und Kinderchor (Claudia Sebastian-Bertsch), die den orchestralen Farben des Spiels um Liebe, Macht und Rache die Farben des aufgebrachten Volkes beimengten oder im Hintergrund eine Kantate sangen. Als klangkräftiger Höhepunkt hatte die Te-Deum-Szene den ersten Akt beendet.
24. Oktober 2025, Wolfram Quellmalz
Von kundiger Hand gefügt wurde »Tosca« zu einem Gesamtkunstwerk mit einer überragenden Hauptdarstellerin.