Roland Kluttig gastierte beim Amtsantritt mit dem Hochschulsinfonieorchester in der Semperoper
Seit fast 30 Jahren, freute sich Roland Kluttig zu seinem Amtsantritt in der Matinée am Reformationstag als Professor für Orchesterdirigieren an der Dresdner Musikhochschule, gibt es Konzerte mit dem Hochschulsinfonieorchester in der Semperoper. Der Ort ist nicht allein prominent, sondern einer der musikalisch wertvollsten Dresdens. Doch trotz der langen Tradition ist das Orchester immer ein anderes, nicht nur, weil es durch die Abgänge von Absolventen und Zugänge nachrückender Studenten verändert wird, sondern auch, weil die gesamte Besetzung einem beständigen Wandel unterworfen ist. So wie an diesem Tag, so Kluttig, werde man das Orchester also gar nicht mehr erleben, denn schon im nächsten Projekt sähe es anders aus. Zu merken war dies unter anderem im Wechsel der Konzertmeisterinnen vor und nach der Pause.
Für den Amtsantritt hatte sich Roland Kluttig nicht nur etwas aus seinem eigenen Repertoire der Herzensstücke ausgewählt, sondern zwei Komponisten in Beziehung gesetzt, zwischen denen sich Bezüge nachvollziehen lassen. Benjamin Britten hat sich für die Klavier- und Orchesterwerke Robert Schumanns eingesetzt, auch zu Zeiten, als sie noch nicht so etabliert waren – noch zu seinen eigenen Studienzeiten, so der frisch inaugurierte Professor, war man der Meinung, Schumann könne nicht instrumentieren (in manchen Köpfen ist das überholte Argument noch lebendig!).

Das Programm war für so ein frisches Orchester mit Sicherheit eine Herausforderung. Denn eine Gemeinsamkeit zwischen Britten und Schumann sind die subtilen Untertöne und das Verlangen nach großer Geschlossenheit. Das sich dies nicht ad hoc erzwingen läßt und gerade in den wirklich fragilen Passagen spürbar wurde, war also abzusehen. Um so schöner, daß der gestalterische Mut überwog und der Musik zum Ausdruck verhalf.
Benjamin Brittens Four sea interludes zeichneten zunächst wasserklare Ströme (Streicher) und Wellenprofile (Bläser) nach, bald aber raunten Blechbläser und Bässe dräuend im ersten Bild der »Dämmerung«. Im zweiten imitierten die Streicher zunächst jene Glocken, die später als Schlagwerke eingefügt wurden. Die Flöten, die hier schon Soli übernahmen, mischten sich im dritten Bild (Mondlicht) prickelnd mit dem Xylophon. Die Wucht der Elemente im letzten der Four sea interludes führte dann nicht allein zu kraftvollen, sondern bedrohlich wirkenden Eindrücken.
Nicht unbedingt bedrohlich, aber vergänglich, zerbrechlich, fragil scheint vieles, was Benjamin Britten in seiner Serenade für Tenor, Horn und Streicher verarbeitet hat. Mochte man im ersten Teil im Klang noch gespürt haben, daß hier kein erfahrenes, lange »gewachsenes« Orchester saß, übertraf die Serenade diesen ersten Eindruck deutlich, nicht zuletzt wegen der großartigen beiden Solisten. Tenor Jongwoo Hong ist mittlerweile als Mitglied des Jungen Ensembles in vielen Aufführungen der Semperoper zu erleben und entwickelte für die verarbeiteten Texte von Charles Cotton, Alfred Lord Tennyson, William Blake, Ben Jonson und Jon Keats eine frappierende Ambivalenz zwischen Dringlichkeit, Angstzuständen, zaghaftem Rufen und innigem Bitten. Vor allem: nichts schien einfach bestimmt und sicher – Cottons »Pastoral« mit den wechselnden, teils gegenläufigen Solostimmen offenbarte sich bereits als verkapptes Nocturne, während das eigentliche Nocturne kein stilles Nachtstück war, sondern voll Leben steckte. Wehmut und Rufe aus der Dunkelheit vervollständigten die Sätze und die Erkenntnis, daß alles Schöne bedroht scheint. Flankiert wurde der durchsichtige Gesang von der ausdrucksstarken Hornistin Yu Takashima, die nicht nur zwischen Natur- und Ventilinstrument wechselte, sondern auf beiden bis zum Postludium hinter der Bühne unterschiedliche Ausdrücke wachwerden ließ – fabelhaft!
Nach der Pause also Robert Schumanns zweite Sinfonie als Prüfstein. Und wie schön war es zu erleben, wie sich nicht nur der Eindruck einer Fragilität wie bei Britten im ersten Satz schon wiederholte, wie sich im zweiten Mendelssohns Geist belebend einmischte – vor allem wuchs der Zusammenklang immer stärker, so daß im dritten Satz der geglättete Widerspruch von Adagio und espressivo sowie ein deutlich gewachsener Tuttiklang spürbar wurden. Also alles bereit fürs nächste Projekt!
1. November 2025, Wolfram Quellmalz