Capell-Compositrice der Sächsischen Staatskapelle stellte sich vor

Traditionsorchester als engagierter Wegbereiter für Gegenwartsmusik

Nach einem Jahr der Vakanz ist die Stelle des Capell-Compositeurs bei der Sächsischen Staatskapelle in dieser Spielzeit wieder besetzt. Diesmal ist es eine Compositrice – Unsuk Chin stellte sich am Donnerstag eher unauffällig, dafür aber eindrücklich im Festspielhaus Hellerau vor.

In den Anfangsjahren dieser Portraits fielen sie nicht nur größer aus, auch ist die Residenz der Komponistin mit gerade drei Konzerten, zu denen jeweils nur ein Werk erklingt, nicht eben üppig. Trotzdem kann man das Hellerauer Portrait als gelungen bezeichnen, denn es trug einerseits die Handschrift Unsuk Chin, andererseits waren erstaunlich viel Zuhörer neugierig ins etwas abgelegene Festspielhaus gepilgert und reagierten am Ende teils enthusiastisch – nur schade, daß der gemeinsame Schnitt von Semperopernpublikum und dem Publikum der Gegenwartsmusik so klein ist!

Allerdings könnte das sich ändern, wenn die Kapelle in der Sache so engagiert bleibt. Das ungewöhnliche Format bestand diesmal nicht darin, daß ein Dramaturg Werke der Capell-Compositrice anderen Komponisten gegenüberstellt, sondern daß Unsuk Chin selbst das Programm ausgesucht hatte, mit für sie und ihre Klangeindrücke prägenden Komponisten.

Das begann mit dem Intermezzo aus dem Streichquartett D-Dur von Arnold Schönberg, das Jörg Faßmann und Martin Fraustadt (Violinen), Stephan Pätzold (Viola) und Sebastian Fritsch (Violoncello) in harmonischer Gediegenheit präsentierten. Der Aufbruch in die Moderne oder Atonalität ist dem Werk noch weniger anzumerken, vielmehr tauchten darin durch Dämpfer und Tonverfremdung angeregte geheimnisvolle Eindrücke auf.

Das sollte sich noch verstärken, denn das folgende Orchesterstück, nun mit Bläsern und Schlagwerk, übertraf in seiner Märchenhaftigkeit Schönberg bei weitem! Dirigent Jonathan Stockhammer fädelte einzelne Segmente wie an einer Perlenkette auf, die fast Bilder oder Scherenschnitte ergaben – anders als in der ursprünglich vorgesehenen Reihenfolge waren dies bereits Hans Abrahamsens »Märchenbilder«, die vom »tropfenden Klavier« über Glocken und fragile Mischklänge eine reiche, lebhafte Szenerie aufboten – als Vorgeschmack auf die nächste Opernpremiere am 7. Dezember, wenn »Snow Queen« des Komponisten auf dem Plan steht, war dies vielversprechend!

Hatte sich Abrahamsen noch der Motivveränderung und -modulation zugewandt, begannen mit Bernd Richard Deutschs »Dr. Futurity« Stücke, die kleinteiliger oder serieller verschiedene Sequenzen miteinander verknüpften, ohne daß sich dabei jeweils zwingend Verbindungen ergeben mußten. »Dr. Futurity« wurde durch den amerikanischen Science-Fiction-Autor Philipp K. Dick angeregt, trägt Zitate aus Dick-Texten in Satz-Titeln und sorgte für mannigfaltige Eindrücke vom aufkommenden Flirren über Akkordfolgen, mischte künstliche, nicht konkret zuordenbare Klänge mit Naturtönen (Kuhglocken) und hielt sogar ausgedehnte Akkordeonkadenzen (Filip Erakovic) parat. In der Vielfalt bis hin zur Vogelpfeife fragte man sich dennoch, was denn nun noch »gepurzelt« käme und ob das sein müsse oder ob da jemand alle Steine eines Baukastens verwenden wollte.

Unsuk Chin, Photo: Sächsische Staatskapelle, © Priska Ketterer

Jonathan Stockhammer zeigte sich begeistert von der Arbeit mit der Sächsischen Staatskapelle, der wiederum die Freude an den ungewöhnlichen Stücken deutlich anzumerken war – ein nicht unwesentlicher Faktor in der Vermittlung. Bei soviel Außergewöhnlichkeit wunderte es schließlich niemanden, wenn der Dirigent selbst ein Streichoktett leitete (man stelle sich das bei Mendelssohn vor!). Doch Yiqing Zhus »Ein Stück für 8 Streichinstrumente« (Deutsche Erstaufführung) war weit entfernt von organischen Motiventwicklungen, spannte wie beim Tennis zu dritt ein Netz oder einen Spiegel zwischen den Streichergruppen auf, die einander Reflexe boten. Weniger Echos als immer neue Impulse lösten die nächste Sequenz aus, die neben dem normalen Bogenstrich mit Flageoletts, Pizzicati oder Glissandi an der Tonumwandlung arbeiteten.

Mit »Graffiti« stellte sich Unsuk Chin letztlich mit einem eigenen Stück vor. Auch sie setzte Glocken im Orchester ein, verführte die Streicher (vor allem Celli) zu Kantabilität. Mit ihren drei Sätzen (Palimpsest, Notturno urbano und Passacaglia) folgte sie an diesem Abend am ehesten klassischen Vorbildern, in denen sie rhythmische und stimmungsvolle Entsprechungen fand wie beim in den Streichern leicht tragisch beginnenden Notturno. Zwar war bei Unsuk Chin erneut eine Sequenzhaftigkeit festzustellen, jedoch konnte man bei ihr darüber hinaus ein Formenspiel erleben, wie in der aufgegliederten Passacaglia. Die Komponistin bedankte sich bei Dirigent und Orchester herzlich für die detaillierte Darstellung.

7. November 2025, Wolfram Quellmalz

Weitere Werke von Unsuk Chin erklingen im 4. sowie im 12. Sinfoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle im Dezember und Juli.

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