Sir Donald Runnicles feiert den Amtsantritt in Dresden »very britisch«
Nach zwei Jahren des Vorlaufes und als Gast ist es nun soweit – am Freitag begann die Zeit von Sir Donald Runnicles bei der Dresdner Philharmonie mit dem ersten Konzert des »British Festivals«. Zwei Tage vor seinem Geburtstag (an dem er »Tristan« in Berlin dirigierte!) brachte der neue Chef zwei wunderbare Werke englischer Komponisten mit zu seinem neuen Orchester. Ob Johannes Brahms, dessen vierte Sinfonie nach der Pause auf dem Programm stand, sicherheitshalber als Publikumsmagnet hinzugenommen worden war? Nicht nur Brahms, auch Vaughan Williams und Walton hat auf jeden Fall der MDR aufgenommen, denn das Konzert wurde mitgeschnitten und soll am 21. November auf den beiden Kulturkanälen ausgestrahlt werden. Brahms wiederum ist ja in Hamburg geboren, wo es nicht nur einen Seehafen und Kontore gibt, sondern sogar eine ausgeprägte Teetradition. Also kann Brahms, nur wenig weniger als Händel, als halber Brite gelten …
Sir Donald Runnicles offizieller Amtsantritt hätte (ohne offizielle Reden, dafür mit einer kurzen, herzlichen Begrüßung des neuen Chefs) kaum schöner ausfallen können, denn sowohl Ralph Vaughan Williams‘ Fantasia on a Theme by Thomas Tallis als auch William Waltons Konzert für Viola und Orchester wohnt eine große Zauberkraft inne. Vaughan Williams‘ hat in seiner modernen Fassung des auf historischen Tonarten aufbauenden Renaissance-Themas dessen Würde in einem Kathedralklang bewahrt, der am Freitagabend auf das ganze Orchester überging. Der strahlende Streicherchor erinnerte in seiner trotz des alten Themas modernen Auffassung ein wenig an die Werke Pēteris Vasks. Dabei gelang die Stimmverteilung – mal vordergründig in den Violoncelli, dann im Unisono das ganze Orchester erfassend, ausgesprochen schön und barg manche Überraschung. Denn die im Flageolett spielenden Violinen und Violen imitierten wunderbar die abwesenden Flöten (das Stück ist allein mit Streichern besetzt). Zudem har der Komponist das Streichquartett der Stimmführer symbiotisch eingefügt – der tiefgoldene Ton der Viola von Christina Biwank sollte schon einmal das folgende Soloinstrument ankündigen. Zum Orchester gehörte aber auch eine neunköpfige Streichergruppe im Seitenrang – so konnte sich Thomas Tallis‘ Thema in der Tat reich verzweigen.

Das erfuhr im Konzert für Viola und Orchester von William Walton mit Timothy Ridout eine besonders schöne Weiterführung. Denn es zeigte sich wieder einmal, daß ein echter Bratschist in Ton und Temperament einfach anders spielt als ein Geiger, der für ein attraktives Werk einmal die Saiten und das Instrument wechselt – der Viola wird der letztere in der Regel nicht gerecht.

Dunkel, fast tragisch begann die Dresdner Philharmonie das Konzert, aber bald hellte sich es auf, gab dem Solisten aus den Reihen der Holzbläser Antworten, wechselte in einen tänzerisch schmeichelnden Duktus. Die Viola blieb dabei – eine ihrer Stärken – ebenso Solistin wie gediegen mit dem Orchester verbunden. Auch schnellere Passagen meisterte Timothy Ridout ohne den Eindruck, daß ihm die »Puste« ausginge oder daß sein Instrument gehetzt wirkte. In der Mitte entwickelte seine Viola den schönsten Klang, während die oberen Lagen für einen erregteren Charakter standen. Besonders fein war der zweite Satz ausgezirkelt, das Vivo, con molto preciso blieb dabei: keine Hetze, dafür wirkte es um so graziler.
Im dritten Satz erreichte William Walton einen heiteren Klang – was für ein Unterschied zum Anfang! Mit neckender Klarinette und Solopassagen war es auch der phantasievollste. Er führte in leichter Dämmerung zurück zum Anfang, ohne jedoch einen Beigeschmack des tragischen zu erfahren. Gleich zweimal eine musikalische Bereicherung – Sir Donald Runnicles applaudierte Solist und Orchester für diesen britischen Einstieg.
Timothy Ridout bedankte sich – nun doch – mit einer wilden Einlage, »Rasendes Zeitmaß. Wild. Tonschönheit ist Nebensache«, aus Paul Hindemiths Violasonate Opus 25 Nr. 1.

Brahms Britisch klang zunächst ungewohnt hell. In der vierten Sinfonie schien das Orchester in der Abstimmung noch leicht zugunsten der hohen Streicher verschoben. Die Konturen der Pizzicati und anderes waren spürbar, aber dem Korpus fehlte es noch an Tragfähigkeit. Mit der Wiederholung des Themas stellte sie sich allmählich ein. Wehmütig verströmten Hörner und Holzbläser im zweiten Satz ihre Schönheit. Die Binnensätze standen für eine leichte Bindung zum Finalsatz, der in den schnellen Passagen rhythmisch federnd wurde.
16. November 2025, Wolfram Quellmalz
Am kommenden Wochenende geht das British Festival weiter. Dann gibt es neben Gustav Holsts »Planeten« auch ein Werk von Sir James MacMillan, der in dieser Spielzeit Residenzkomponist der Dresdner Philharmonie ist.