Sasha Waltz‘ »Dido & Aeneas« mit der Akademie für Alte Musik Berlin bleibt ein Publikumsmagnet
Im ersten Bild gleich tauchen sie auf – und unter. In einem riesigen Becken räkeln sich die Tänzer. Erzähler führen in die Geschichte und beziehen im Prolog ein, »was bisher geschah«. Gleichzeitig steht das Wasser für das wogende Meer und die Ankunft von Aeneas‘ Schiff.

Die Stärke des Stückes liegt in der Verknüpfung der Ebenen, denn oft sind die Sänger des Vocalconsort Berlin und die Tänzer der Compagnie Sasha Waltz & Guests kaum zu unterscheiden. Der Chor wird ebenso choreographiert wie das Ballett oder die Tänzer übernehmen Texte, was den Eindruck einer großen, divergenten Masse noch verstärkt.
Ähnlich bei den Einzelpersonen: statt eines eindeutigen Doubles pro Figur, wie man es vom klassischen Ballett kennt, werden die Zuordnungen aufgespalten, was es allerdings erschwert, genau zu verfolgen, wer gerade handelt – wenn es nicht Dido, Aeneas oder Didos vertraute Belinda sind, wird es etwas unübersichtlich. Zudem drängt sich die Idee der Regisseurin in einer minutenlangen choreographierten Passage ohne Musik (!) bei verdunkeltem Orchestergraben als eigensinnig auf. Dafür entschädigen ein Schattenballett (Solo) und Paarkonstellationen, die in Lichtkegeln tanzen.

Auch die mittlerweile 40. Vorstellung am Mittwoch vergangener Woche war ausverkauft und hatte ein Publikum, das vor allem die Compagnie Sasha Waltz & Guests sowie die Musiker der Akademie für Alte Musik Berlin feierte. Letztere entwickelte unter der Leitung von Christopher Moulds einen ans Haus angepaßten Klang – nicht so extrem scharfkantig, wie man historische Aufführungspraxis kennt, geriet Purcells Musik sanfter, was aber in die Lindenoper paßte und zudem nicht hinderte, daß sich Streicher mit Violinen und Gamben gegenüberstanden oder verschmolzen. Zudem war das Instrumentarium mit drei (!) Spielern, die im Continuo zwischen Theorbe, Barockgitarre und Erzlaute wechselten, Windmaschinen und Gewitterblechen reichhaltig. Georg Kallweit mischt sich mit der Violine auch einmal spielend unter die Sänger.

Das Ensemble mit Sängern des eigenen Hauses (Natalia Skrycka als Königin Dido, Gyula Orendt als Prinz Aeneas), mit Aphrodite Patoulidou als Gast (Belinda) sowie Teilnehmern des Internationales Opernstudios (Jingjing Xu, Hanseong Yun, Junho Hwang und Álvaro Diana) überzeugte stimmlich und darstellerisch in der anspruchsvollen Anlage. Obwohl sich Natalia Skrycka vorab als leicht indisponiert hatte ansagen lassen, gelang ihr eine starke Vorstellung. Mehr noch: Sasha Waltz‘ auf Blickrichtungen zielende Inszenierung macht deutlich, daß dem Monolog mit der berühmten Arie »When I am laid in earth« (»Wenn ich in der Erde liege«) ein anderer Abschied vorausgeht, als Dido um ein letztes Mal um den Beistand ihrer Vertrauten Belinda bittet (»Thy hand, Belinda; darkness shades me« / »Deine Hand, Belinda; Finsternis umwölbt mich«) – trotz oder gerade wegen aller Turbulenzen wurde dies zum berührendsten Stück des Abends. Noch ein anderer Abschied war dem vorausgegangen: Aeneas wurde von der als Merkur verkleideten Hexe abberufen – er solle Rom gründen.

Eine Oper voller wunderbarer Musik, und das zu schauerlichen Vorgängen – »Heute stirbt Dido, morgen brennt Karthago« singt die Zauberin. Das Vocalconsort Berlin agierte flexibel aus dem Orchestergraben oder dem Proszenium, war aber oft kein alleinstehender Chor, sondern mischt sich individuelle auf der Bühne. Neben der treusorgenden und ebenso stimmlich warm schmeichelnden Aphrodite Patoulidou fiel vor allem Hanseong Yun mit seinem klangvoll rundem Baßbariton auf – schnell hatte man vergessen, daß das Libretto für die Zauberin eigentlich einen Mezzosopran vorsieht.
13. November 2025, Wolfram Quellmalz