Langer Abend für einen Impulsgeber

Dresdner Musikhochschule feierte Helmut Lachenmann

Am vergangenen Donnerstag hat der Komponist Helmut Lachenmann seinen 90. Geburtstag gefeiert – in »alter Frische«, darf man in diesem Fall wohl sagen. Denn anders als sonst gab es nicht nur viele Radioberichte über ihn, sondern mit ihm. Das blieb in den folgenden Tagen ähnlich, und so war Helmut Lachenmann, den eine langjährige (man möchte sagen jahrzehntelange) Kooperation mit der Musikhochschule Dresden verbindet, am Sonnabend bei einem Konzert in der Elbphilharmonie Hamburg und einmal nicht in Dresden. Was dennoch kein Grund war, die Lachenmann-Nacht der HfM zu versäumen.

Helmut Lachenmann, Photo: HfM Dresden

Die »Lange Nacht« war dabei nur wenig übertrieben, denn die zwei Konzertteile dauerten letztlich fast drei Stunden. Sie stellten nicht allein Musik Helmut Lachenmanns vor, sondern zeigte ihn als Impulsgeber. Die Impulse findet und gibt der Komponist nicht allein in Tönen und Geräuschen, sondern einem Klang, der sich freilich – weil Musik bekanntlich mit Geräusch verbunden ist – aus vielfältigen akustischen Ereignissen, Phänomenen, (Sub)impulsen zusammensetzen kann. Und einen Ursprung hat, der oft in Texten oder Szenen liegt. Die Texte werden jedoch nicht zentral »transportiert«, sondern aufgeschlüsselt, zerlegt und umgeformt, so daß auch im Fall, daß sie gesungen werden, teilweise nur Silben oder Textauszüge wirklich gehört werden können – das ist so gewollt.

Consolation II ist so ein Werk, das sich auf eine neuhochdeutsche Fassung des Wessobrunner Gebets bezieht, es aber nicht Vers für Vers deklamiert. Olaf Katzer präsentierte das Werk mit seinem experimentierfreudigen AuditivVokal Dresden, das die Laute vom geflüsterten Wort über rollende »R« bis zum Schrei darstellte – nicht allein ein »Gesang«, sondern eine Sublimierung, Gedanken aus der Luft, die kantig, skulpturhaft, fast greifbar wurden. Wer mehr als solchen Ausschnitt erleben will, dem sei »The Sound of Spirit – Von Glauben, Geist und Gegenwart« empfohlen, ein Konzert des Auditiv Vokal am 31. Januar in der Frauenkirche Dresden, in dem neben einem Werk von Helmut Lachenmann Musik von Mark Andre, Albert Breier, Hans Zender und Johannes Ockeghem erklingen wird.

Olaf Katzer war einer von drei wesentlichen Mitgestaltern an diesem Abend, ein anderer Roland Kluttig, der kürzlich die Professur für Orchesterdirigieren übernommen hat. Er sorgte mit dem Hochschulsinfonieorchester für zwei Aufführungen von »…zwei Gefühle…«, das sich wiederum auf einen Text Leonardo da Vincis bezieht. Die Gefühle umfassen Neugier und Angst beim Erforschen einer Höhle. Der Vokalist und Klangkünstler Christian Kesten (auch Regisseur und vieles mehr) hatte den eindrucksvollen Part der Deklamation und Darstellung übernommen – noch bei »gesprochenem« Text genügt ein schlichtes Vortragen nicht.

Was aber spätestens jetzt deutlich wurde: Helmut Lachenmann ist nicht nur ein Impulsgeber (etwas für Studenten), er arbeitet mit Impulsen, läßt seine Musik aus ihnen wachsen. Das war wunderbar zu verfolgen durch die Interaktion im Orchester, zwischen den Spielern (untereinander) oder wenn sie den Klavierkasten als Ort für Leonardos »Höhle« benutzten, um Klangimpulse auszulösen und mit Resonanzen zu arbeiteten – Musik zum Staunen, nichts weniger! Dabei weiß Lachenmann, erfuhr man in den Gesprächen des Abends (Moderation / Gespräch über Helmut Lachenmann: Jörn Peter Hiekel), immer ganz genau, was er will, wie etwas klingen soll, und kann Orchestern jede Stelle seiner Werke genau beschreiben oder vorspielen. Als Erkundungserfahrung war »…zwei Gefühle…« um so wertvoller, weil Roland Kluttig das Werk nach dem Gespräch wiederholte.

Der Abend verlief kaum weniger spannend weiter. Mark Andre (Professur für Komposition) führte im Rahmen seiner Reihe »Sein & Zeit« mit einer Hommage an Helmut Lachenmann in den zweiten, von ihm kuratierten Teil des Konzerts ein und schaffte mit Ausschnitten der Notation und Klangbeispielen einen Zugang zu Lachenmanns Toccatina für Violine.

In vier Solowerken, die aber als geschlossene Einheit präsentiert waren, wurde der Komponist noch einmal vor allem als Impulsgeber offensichtlich: Die »Wiegenmusik für Klavier« (Anna Khoroshavina) folgte nach dem Impuls der Eröffnung einem Wellenprofil, dem aber auch ein Hintergrundgrollen unterlegt war. »Pression« für Violoncello – einer der Favoriten des Rezensenten – spielt mit allen Aspekten der Reibung, die auf und am Instrument Geräusche auslösen können. Julia Starczewska sorgte mit teils schlanken Tönen und gezielten Pizzicati für Spannung, nutzte den dynamischen Bereich vom kaum noch hörbaren, wahrnehmbaren Wischen bis zum scheinbar die Berstgrenze erreichenden, rauhen Klang.

Die Toccatina für Violine (Tereza Horakova) mit kleinteiliger Ornamentik und den Läufen einer verkürzten Tonleiter entsprach in manchem einer schnell gedrehten Spieldose, folgte aber den Impulsen bis in die Zerlegung von Einzeltönen.

All dies schien die Serynade für Klavier solo zu umschließen, die neben Läufen und aushallenden Tönen (ohne Dämpfer) bis zu Akkordfolgen und minimalistischen Strukturen, aber auch das Pochen der Pedalhebelmechanik einschließt. Noch einmal trat Anna Khoroshavina als Klangumformerin auf, wobei das Werk aber mit über einer halben Stunde für die Zuhörer eine nicht geringe Beanspruchung darstellte. Am Ende schien es sich aufzulösen – in nichts? Was kaum anzunehmen ist – Helmut Lachenmanns Impulse bestehen fort.

30. November 2025, Wolfram Quellmalz

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