Tacheles-Jahr der jüdischen Kultur in Sachsen 2026 in Chemnitz eröffnet
Eben hatte sich Chemnitz als Kulturhauptstadt verabschiedet, da stand es schon wieder im Mittelpunkt – am Sonntag wurde im Staatliches Museum für Archäologie Chemnitz (smac) »Tacheles 2026«, das Jahr der jüdischen Kultur in Sachsen eröffnet. Das Datum – der 14. Dezember, der Beginn des jüdischen Lichterfestes – war bewußt gewählt, denn am Abend wurde das erste Licht an der an der Chanukkia, dem achtarmigen Leuchter, angezündet. Auch der Ort war kein beliebiger – das einstige Kaufhaus Schocken gehörte zu einer Kette von Warenhäusern der jüdischen Familie Schocken mit über zwanzig Filialen in Sachsen und darüber hinaus. Überschattet war der Tag – wie schon so oft an jüdischen Feiertagen – von einem Anschlag, als in Sydney zwei Attentäter eine Chanukka-Feier angegriffen hatten.

So begann das eigentliche Fest mit einer Schweigeminute. Dennoch konnte nicht nur der Abend mit zahlreichen Gästen, sondern darf das Jahr mit vielen Freunden und Kooperationspartnern darauf bauen, daß jüdische Kultur wieder stärker im öffentlichen Leben, in der Normalität verankert wird. So blickte Dr. Sabine Wolfram, Direktorin des Staatlichen Museums für Archäologie Chemnitz, nicht nur auf die letzten fünf Jahre zurück, in denen aus der Idee das Jahr der jüdischen Kultur in Sachsen entwickelt worden war, sondern konnte sich bereits auf das freuen, was folgen wird. Aktuell sind bereits über 100 geförderte Projekte und weit über 300 Veranstaltungen eingetragen.

Der vom erzgebirgischen Kunsthandwerker Rico Müller angefertigter Leuchter, an dem später das erste Licht entzündet wurde, symbolisiert mit traditioneller Chanukkia-Form oben und Schwibbogen tragend darunter die Verbindung jüdischer und sächsischer Kultur. Michael Kretschmer, Sächsischer Ministerpräsident und Schirmherr von »Tacheles 2026«, versprach: »wir arbeiten dafür, daß es nicht zwei Welten sind, sondern daß Jüdinnen und Juden selbstverständlich dazugehören«. Daß dem so sei, könne man in den kommenden Monaten erleben.
In der Tat ist der jüdische Einfluß gerade in der Kultur nicht wegzudenken, auch wenn das Jüdische« oft verschwiegen oder zurückgedrängt wurde. Namen wie Marc Chagall, Else Lasker-Schüler, Max Liebermann, Mascha Kaléko, Heinrich Heine oder Felix Mendelssohn […] haben nichts von ihrem Glanz und ihrer Faszination verloren. Das war im Rahmen des festlichen Auftaktes gleich mehrfach zu erleben.

Drei musikalische Teilnehmer repräsentierten gleichzeitig die drei sächsischen Großstädte, in denen »Tacheles 2026« wesentliche Spuren hinterlassen wird. Die Neue Jüdische Kammerphilharmonie Dresden (Leitung: Michael Hurshell) zeigte mit Werken von Alexandre Tansman und Franz Schreker unter Beweis Musik, die nicht nur für einen wesentlichen Teil der spätromantischen Epoche stand, sondern gleichzeitig für eine Vielzahl von Musiker-Lebensläufen, die während der NS-Zeit in die USA flohen und dort das Leben der klassischen Musik wesentlich prägten.

Sind schon Werke wie von Alexandre Tansman (Andante aus dem Streichquartett »Triptyque«) und Franz Schreker (Scherzo für Streicher) seltener zu hören, gaben der Leipziger Synagogalchor (Solisten: Chazzan Assaf Levitin, Bariton und Tilmann Löser, Klavier) sowie die Yankele Kapelle Chemnitz lebendige Einblicke in jüdische Traditionen – Chor und Solist mit klassischen Liedern von Samuel Lampel, Salomon Jadassohn, die Kapelle mit farbenfrohen neuen Klezmer-Arrangements, die Claußner von traditionellen Titeln angefertigt hat.

Das war nicht immer so, erfuhr man nicht nur »zwischen den Zeilen«, sondern in Gesprächen, wie einem von Dr. Nora Pester geleiteten Podium mit jungen Leuten. Es gab eine Zeit, da wurden jüdische Identitäten verheimlicht und verdrängt, nicht offen gelebt. Die Generationen der jetzigen Eltern und Großeltern habe somit gar keine Erfahrungen sammeln können, ihre eigene Geschichte aufzuarbeiten, ihre Identität zu leben. Der Gedanke, daß diese Identität wieder normal sein solle, zog sich wie ein roter Faden durch den Abend und verlieh dem Festjahr zum Auftakt nicht nur einen Hoffnungsschimmer, sondern einen Auftrag.

Das Verbergen und Vergessen hat auch Bernd-Lutz Lange in der DDR kennengelernt, als er begann, sich für jüdische Orte und Menschen zu interessieren und feststellte, daß deren Erfahrungen vielleicht verlorengingen, wenn sie keiner sammele. Der Kabarettist begann damit und wurde noch vor der Wende zu einem Vermittler zwischen den Kulturen. Sein bereits in den neunziger Jahren erschienenes Buch »Davidstern und Weihnachtsbaum« ist heute als Taschenbuch erhältlich.
15. Dezember 2025, Wolfram Quellmalz
