Jordi Savall und Musiker aus Fluchtländern in der Dresdner Frauenkirche
Der Schönheit und Emotionen gelten seit Jahrzehnten schon die Aufmerksamkeit und Liebe Jordi Savalls. Der Katalane, Gambist, Musikwissenschaftler und Dirigent ist ein genialer Brückenbauer zwischen den Menschen, den Zeiten und den Welten. Orient und Okzident verbindet er in seinen Programmen in einer schlüssigen Homophonie, einem Gleichklang, der sich aus Musikern und Musiken unterschiedlicher Herkunft fügt.
Daß diese Alchimie immer wieder gelingt, davon durfte sich am Freitag ein begeistertes Publikum in der Frauenkirche überzeugen. So wie Savall selbst den Wissenschaftler und den aktiven Musiker in sich zum beiderseitigen Gewinn verbindet, schafft er gleiches mit seinen Musikern. Mit dabei waren Hespèrion XXI, ein 1974 mit Freunden gegründetes Ensemble, welches an diesem Abend nicht nur als »Kerngruppe« oder Basis diente. Denn viele der Mitglieder (Moslem Rahal, Daud Khan Sadozai, Hakan Güngör) sind dazu Mentoren für das aktuelle Projekt, den Chor Orpheus XXI, in den Flüchtlinge, Jugendliche aufgenommen werden, um deren musikalische Fähigkeiten zu erkennen, einzubinden, in einer Konzertreihe zum Klingen zu bringen.
Auch das gehört dazu: einen regelrechten »Chor« gibt es ebensowenig wie die Sängerinnen oder Sänger auf ein Stimmfach festgelegt sind – viele sind entweder Sänger und Instrumentalist oder spielen zwei verschiedene Instrumente.
Und so fanden für eine »Hommage an Syrien« (Titel des Programms) auch Menschen zusammen, die nicht nur aus Syrien, sondern aus Afghanistan, der Türkei, Armenien, Bulgarien und Griechenland sowie Spanien kommen.
Ihre Lieder in verschiedenen Sprachen hielten, was Jordi Savall versprochen hatte, waren von großer Schönheit und tiefer Emotionalität. Dabei stand meist eine Erzählung, eine Erzählerin (Waed Bouhassoun), ein Erzähler im Mittelpunkt. Zupfinstrumente wie Oud, Sarod oder Robab, eine Ney (mit einer Flöte vergleichbar) oder ein Santur übernahmen oft solistische Einleitungen, stimmten ein Thema an, in das sich alle anderen fanden – dieser Gleichklang ist es, der nicht nur Gemeinsamkeit symbolisiert, sondern für eine ungeheure Farbigkeit und melodiöse Schönheit sorgte. Die Sänger wie Tarek Alhammad und der über unglaublich viele Oktaven verfügende Rebal Alkhodari entfachten eine schlichte, aber einnehmende Emotionalität, der manches Instrument, wie das Duduk, ein Blasinstrument, das eine menschliche Stimme eingeschlossen zu halten scheint, in nichts nachstand.
Und worum ging es dabei? Um die Liebe natürlich, um die Liebe, worum sonst? Ob melancholisch (die nicht erwiderte Liebe) oder impulsiv (der Heiratsantrag) – diese Musik ist nicht nur rhythmisch, sondern oft auch tänzerisch oder ein Tanzlied wie »Ya bordaeyn« (»Wie sanft sind die Nordwinde«). Und aus der Gegend von Marokko und Tunesien ist die Ballade »Lamuny« überliefert, in der jemand eine kränkende Kritik empfangen hat, weil er sich in eine Dienerin verliebte.
Eine Pause gab es übrigens auch: alle blieben sitzen, stimmten nach, und dann ging es weiter … Ob in Soli oder durch das gesamte Ensemble – hier wurden Geschichten auf anrührende Weise und mit einer von keiner „Schule“ geprägten, beeindruckenden Vielfalt erzählt. Und Jordi Savall? Der hatte seine Gambe gegen eine Rebec getauscht und blieb ganz am Rande, als wäre gar nicht er der Initiator dieser großartigen, geglückten Idee. Mit »Üsküdar’a Gider İken« (»Auf dem Weg nach Üsküdar«), einem türkischen Volkslied, das heute auf dem gesamten Balkan gesungen wird, verabschiedeten sich die Musiker. Die Schönheit und die Emotionen, so wiederholte Jordi Savall sein Credo noch einmal, mögen uns erhalten bleiben und unser Zusammenleben bestimmen.
25. Mai 2019, Wolfram Quellmalz