12. Internationale Schostakowitsch-Tage Gohrisch
Vor elf Jahren begann die Geschichte der Internationalen Schostakowitsch-Tage Gohrisch. Der Künstlerische Leiter Tobias Niederschlag und sein Team haben bisher bemerkenswertes auf die Beine gestellt – und es wird bemerkt. Nicht zuletzt, weil hochkarätige Gäste und Preisträger nach Gohrisch nahe Pirna kommen. In diesem Jahr kamen sie allerdings pandemiebedingt ins Festspielhaus Hellerau im Norden Dresdens.

Daß es in Gohrisch in den vergangenen Jahren immer wieder (noch!) Uraufführungen gab, ist unter anderem der unermüdlichen Arbeit von Dr. Olga Digonskaya vom Moskauer Schostakowitsch-Archiv zu verdanken. Zuletzt wurden 2011 bislang nicht bespielte Werke via Stream uraufgeführt. Für ihre Arbeit und Kooperation erhielt die Musikwissenschaftlerin in diesem Jahr den Internationalen Schostakowitsch Preis Gohrisch, der am Freitag vergeben wurde.
Vier intensive Tage, vollgepackt mit Musik vor allem von Dmitri Schostakowitsch, aber auch sein Freund und Schüler Mieczysław Weinberg stand erneut im Mittelpunkt. Dmitry Masleev und Yulianna Avdeeva (Klavier), das Quatuor Danel und Dmitry Sitkovetsky (Violine) waren ebenso dabei wie Gidon Kremer und Dresdens preisgekrönter Nachwuchscellist (wenn man ihn noch so nennen kann) Norbert Anger.
Am Sonnabend gab es ein Wiederhören mit dem Borodin Quartet. Freilich sieht dieses heute anders aus als zu seiner Gründung 1945. Da liegt natürlich auch die Krux: ein Ensemble wird durch seine Mitglieder geprägt und verändert. Wenn es an eine Institution gekoppelt ist, wie zum Beispiel das Gewandhausquartett, geschieht diese Wandlung stetig und im Zusammenhang mit den Aufgaben der Mitglieder. Handelt es sich allerdings um ein »freies« Quartett, das durch seine Gründungsmitglieder geschaffen wurde, empfindet man diesen Wandel unter Umständen als Verlust an originalem Klang und Charakter. Es kann sogar – wenn mehrere Generationssprünge vollzogen werden – zu einer Neuausrichtung kommen, was nicht immer ein Vorteil ist. Was also ist besser: weiterentwickeln oder aufhören?
Borodin entschied sich fürs Weitermachen. In der aktuellen Formation setzt sich das Quartett aus Mikhail Feiman, dem jüngsten Neuzugang, und Sergei Lomovsky (Violinen), Igor Naidin (Viola) sowie Vladimir Balshin (Violoncello) zusammen. Sie spielten drei Quartette von Dmirti Schostakowitsch, die bisher noch nicht in Gohrisch erklungen waren, die Nummern eins, elf und zwölf. Programmatisch war das vielleicht schwierig, oder lag es am noch nicht festgefügten Ensemble? In Intonation, Homogenität und Ausgewogenheit reichten sie noch nicht an frühere Jahre heran. Während Viola und Violoncello für manche Akzentbetonung sorgten, blieben die Violinen (gemessen an den zugegebenermaßen hohen Borodin-Ansprüchen) etwas schlicht. Auf der anderen Seite gaben die drei Werke einen interessanten Einblick in Schostakowitschs »Komponierstube«. Natürlich scheint sein erstes Quartett unterhaltsamer, versöhnlicher, später wurde der Komponist deutlich experimenteller. Natürlich traten hier und da typische Stilmerkmale zutage, Schicksalsmotive, eine interpretatorische Doppelbödigkeit.
Dennoch hätte man sich die Ambivalenz deutlicher gewünscht, immerhin setzte Schostakowitsch die vier Streicher nicht immer gleichzeitig und gleichgewichtig ein und verschob auch so die Schwerpunkte. Manches davon entging den Zuhörern, zumal das Quartett auch ebenerdig, also nicht auf einem Podest saß.
Tags darauf, zur Sonntagsmatinée, wurde es um manches deutlicher. Mit der kapella 21 kehrte ein Ensemble aus der Mitte der Sächsischen Staatskapelle Dresden zurück, das mit den Festtagen wie mit der Musik so fest verbunden ist wie das Orchester selbst. Mit Petr Popelka, selbst auch als Komponist tätig, kehrte außerdem ein ehemaliges Kapellmitglied zurück. Schon in den letzten Jahren beim Orchester hatte Petr Popelka immer wieder dirigentische Aufgaben übernommen, mittlerweile ist der Tscheche Chefdirigent des Kringkastingsorkestret des NRK (Norwegisches Rundfunkorchester Oslo) und Erster Gastdirigent der Janáček Philharmonie Ostrava sowie Designierter Chefdirigent und Künstlerischer Leiter des Radio-Symphonieorchesters Prag.
Im neuerlichen Zusammenwirken wuchs gerade die Kammersinfonie nach dem Streichquartett Nr. 10 As-Dur von Dmitri Schostakowitsch in lichte Höhen. Rudolf Barschai, Gründungsmitglied übrigens des Borodin Quartets und 2010 erster Träger des Internationalen Schostakowitsch Preises Gohrisch, hatte in seiner erfolgreichen (und von Schostakowitsch geschätzten) Fassung dunkle, verhangene Passagen feinnervig herausgefiltert und auf ein Streichorchester (incl. Kontrabässen) übertragen. Petr Popelka brachte es mit sinfonischer Wucht zur Blüte, knickte aber keine der zarten Blumen, die sich darin verstecken. Die dichte Homogenität der kapella 21 war nicht nur berückend, sie sorgte auch immer wieder für Momente großer Leichtigkeit.
So erfuhr auch Mieczysław Weinbergs zweite Sinfonie die ihr gebührende Beachtung – seitens des Orchesters ebenso wie bei den begeisterten Zuhörern. Mehr noch als Schostakowitsch spielt Weinberg – ungeachtet der trotzdem enthaltenen Dramatik – mit tänzerischen Rhythmen und liedhaften Melodien. Dann wieder schmolz das Ensemble zum Trio der Stimmführer von Violoncello, Violine und Viola, bevor die Sinfonie im letzten Satz mit erfrischenden Pizzicati die Neugier weiter anfachte – mit diesem Komponisten dürfen gerne weitere neue Erfahrungen folgen! Da war die eingeschobene Uraufführung, eine Bearbeitung des Adagio cantabile aus Beethovens Pathétique (von Schostakowitsch eingerichtet für Streichorchester) ehrlich gesagt deutlich überstrahlt. Gewidmet war Weinbergs Sinfonie übrigens dem Schostakowitsch-Preisträger von 2011, Kurt Sanderling.
28. Juni 2021, Wolfram Quellmalz
Im kommenden Jahr sollen die dann 13. Schostakowitsch-Tage Gohrisch zwischen 30. Juni und 3. Juli wieder an ihren angestammten Ort zurückkehren.