Martha Argerich Festival in Hamburg, Tag 6
Es war in der Tat ein »Gipfeltreffen«: Nach dem kammermusikalischen Programm mit elf Musikern um Martha Argerich am Vortag trafen sich gestern abend »nur« zwei im großen Saal der Laeiszhalle: die Festivalchefin teilte sich den Flügel mit ihrer verehrten Freundin und Kollegin Maria João Pires, die das Programm allein begonnen hatte – mit Franz Schubert.
Maria João Pires nahm das dritte aus der zweiten Gruppe der Impromptus (B-Dur, D 935) als ebenso filigrane wie feingliedrige Konzertouvertüre. Eine Feinheit der Artikulation paart sich bei ihr mit differenzierten Schattierungen und ließ das Stück als das glänzen, was es ist: ein Juwel der Klavierliteratur, ein luftiges Piece baiser de la musique – den Applaus nahm die Pianistin dankbar an, bremste dennoch, weil sie den Variationen über »Rosamunde« sogleich Schuberts »kleine« Sonate A-Dur (D 644) folgen lassen wollte. Heiter und gelöst eröffnete sie das Stück, schärfte aber bald Konturen und betonte dramatische Steigerungen. Der Kontrast zwischen gewichtigem Baß und perlenden Oberläufen beeindruckte, ein Gegensatz in der Balance, der nicht zum Bruch führte. Zudem ließ Pires schon hier die hohe Stimme aus dem Steinway perlen, als spiele sie nicht auf einem modernen Flügel, sondern ein Pianoforte der Schubertzeit.
Dem Andante verlieh Maria João Pires die Transparenz und Grazie eines Liedes, während dem abschließenden Allegro erneut ein treibender Impuls innewohnte, der fast ungewohnt energisch schien – die Pianistin ist, ihres offiziellen Rückzuges vor drei Jahren zum Trotz, nach wie vor in künstlerischer Bestform. Und das bezieht sich nicht nur auf ihr technisches Vermögen, sondern nicht minder auf ihre gestalterische Raffinesse.
Für den zweiten Teil des Programms und Wolfgang Amadé Mozarts Sonate zu vier Händen in C-Dur (KV 521) übernahm Martha Argerich den unteren Teil des Flügels. Werke zu vier Händen (oder für zwei Klaviere) bedürfen durchaus einer sorgsamen Behandlung, damit aus den vier Stimmen kein verstärkter Klavierdonner wird. Selbst bei Mozart oder Schubert kann dies passieren, von den Märschen Anton Arenskis ganz zu schweigen …

Martha Argerich und Maria João Pires fanden sich aber nicht nur in pianistischer Schwesterlichkeit, sondern auch in einer geradezu polyglotten Ausdruckskraft. Sie durchpulsten das Allegro mit einem perlend-rhythmischen Staccato, offenbarten Strukturen kristalliner Feinheit, rückten Schuberts Andante in Liednähe. Das Allegretto schließlich bewies mehr als nur ungetrübte Harmonie der beiden Spielerinnen, es lockerte ein temperamentvolles Rondeau mit federleichten Einschüben auf. So heitere, gelöste, glückliche Momente wünschte man sich noch mehr. Die Zukunft ist freilich offen, eine kleine Fortsetzung gönnten die Meisterinnen ihren Zuhörern sogleich mit noch einem Mozart-Allegro. Deren warten noch ein paar, aber auch Schubert-Sonaten und Fragmente. Vielleicht kann Martha Argerich ihre Freundin noch einmal überreden …
25. Juni 2021, Wolfram Quellmalz