Martha Argerich Festival in Hamburg, Tag 5
Neben den »angestammten« (und liebgewordenen) Klassikformaten wie Sinfonie- und Kammerkonzerten mit vielen Besuchern oder Anrechtsinhabern sind offene, neue, alternative Formate auch immer wieder gefragt. Besonders glücklich geraten gerade solche Projekte, die viele Künstler, die sonst allein als Solisten unterwegs sind, zusammenbringen und ihnen ein gemeinsames Musizieren vor Publikum ermöglichen. Oft verbindet sich damit eine besondere Authentizität, und wenn es sich nicht nur um einen einzelnen Abend handelt, sondern um einige Tage, entsteht dabei ein Festspielcharakter. Das gilt in Moritzburg ebenso wie in Hamburg.
Hier, in der Laeiszhalle, residiert im Moment wieder das Martha Argerich Festival. Der Jahrgang 2021 kann erneut viele Gäste begrüßen, prominente wie Daniel Barenboim oder Anne-Sophe Mutter, aber auch liebe Freunde der »Großen Argerich« und Orchestermitglieder der Hamburger Symphoniker (deren Heimstätte die Laeiszhalle ist). Unter den lieben Freunden nimmt Mischa Maisky eine Sonderstellung ein, nicht erst seit dem gemeinsamen Album »My dearest Martha« vor zehn Jahren. Er war auch gestern mit dabei, spielte den krönenden Abschluß gemeinsam mit der – nein, nicht »alten« – innigen Freundin. Die Vokabel »alt« verbietet sich bei Martha Argerich ungeachtet ihres runden Geburtstages kürzlich ohnehin, nicht nur aus Schicklichkeit, sondern weil »die Argerich« nach wie vor energiesprühend und jugendlich angerauscht kommt und leidenschaftlich spielt.
Für den Auftakt sorgte eine ihrer jüngsten Freudinnen, Sophie Pacini, eine Pianistin, die Martha Argerich früh gefördert hat. Pacini ist für große Auftritte bekannt, energisch, auftrumpfend, kennt keine Angst vor großen Namen, handelt es sich dabei nun um den der Mentorin oder den von Komponisten. Franz Liszt schreckt sie also nicht, seine Adaption der Tannhäuser-Ouvertüre sowieso nicht, indes vermißt man noch die leisen, feinen, differenzierten Töne – immer nur sich beweisen und durchsetzen müßte die Pianistin doch nicht. Zumal das Werk eine Annäherung ist, eine Annäherung an ein Original; und die Frage, ob der Gewinn eher beim Komponisten lag, weil er das Werk auf seinem Instrument spielen konnte, oder beim heutigen Hörer, darf man (theoretisch) stellen. Wer den »Tannhäuser« gut kennt, hat zum Beispiel die Linie der Celli unweigerlich im Ohr und vermißte sie trotz aller Virtuosität und Liszts pianistischem Farbenreichtum.
Mit Gérard Caussé (Viola) und Nicholas Angelich (Klavier) nahmen sich zwei Musiker Johannes Brahms‘ Sonate Opus 120 Nr. 2 vor, die in jeder Hinsicht eine gute Mittellage abbilden. Für »Altmeister« zu jung, für Nachwuchs zu erfahren, können beide auf schon ein paar Jahrzehnte des Musizierens zurückblicken und verflochten die Stimmen ihrer Instrumente nicht allein »brahmsisch« (innig, süffig), sondern legten manche Ambivalenz, Brüchigkeit offen. Gerade Gérard Caussé nahm nicht allein die schwärmerisch-romantische Seite des Komponisten wahr, sondern spürte der Fragilität der Sonate nach.
Mit Camille Saint-Saëns Septett Es-Dur (Opus 65) gab es dann beinahe eine Neuentdeckung. Zwar sind Künstler wie Publikum weit davon entfernt, nur den »Karneval der Tiere« zu kennen (wie noch manches Programmheft behauptet, der Komponist wäre allein dafür berühmt). Schließlich hat Saint-Saëns neben reizvollen Trios und Orgelstücken die Musikliteratur um großartige Konzerte für Klavier, Violine und Violoncello bereichert. Sein Septett ist indes kaum einmal im Konzertbetrieb zu hören, nicht zuletzt wegen seiner Besetzung. Sergei Nakariakov (Trompete), Dong Hyek Lim (Klavier), Adrian Iliescu und Paweł Kisza (Violine), Lyda Chen (die Tochter von Martha Argerich, Viola), Eugene Lifschitz (Violoncello) sowie Gregor Hammans (Kontrabaß) besorgten dem Publikum einen Hörgenuß! Begeisternd war die sinfonische Geschlossenheit der Musiker, in der sich erregende Tremoli mit einem fein ausbalancierten, eleganten Klavierton trafen, dazu die geschmeidige, leise Trompete von Sergei Nakariakov – verblüffend, wie zurückhaltend der zu aller Virtuosität fähige Star fähig ist! Und das Stück überraschte mit Modernität – Aaron Copland experimentierte viele Jahre nach Saint-Saëns mit Kammerbesetzungen und Trompete.
Wie schön wäre es gewesen, hätten all diese kammermusikalischen und orchestralen Farben allein wirken können. Leider gibt es aber auch im altehrwürdigen großen Saal der Laeiszhalle Farblicht, das die Bühne auch noch wechselnd flutet. Für den krönenden Abschluß schlug es in Blut- oder Parteirot (?) um.
Nun standen Schostakowitsch, Argerich und Maisky auf dem Programm, deren Kraft jede Ablenkung jedoch bannt, und sei sie noch so ärgerlich (zischende Flaschen, weil jemand mitten im Konzert ein Mineralwasser trinkt). Hier saßen zwei, die keine Show brauchen, die nicht »gepusht« oder motiviert werden müssen. Martha Argerich und Mischa Maisky finden sich auch bei diesem Stück, das sie wohl viele, viele Male bereits gemeinsam gespielt haben, immer wieder bestens zusammen, ohne daß sie dabei routiniert wirken. Ein kleiner Seitenblick schien zu fragen »Bist Du noch da« – eine Spur Schelmerei haftet der Argerich manchmal an, wenn sie sich gut fühlt und mit ihren vertrautesten Freunden musiziert. Und so stoben beide durch die Partitur, mit einer Leidenschaft, dabei aber mit einer verblüffenden Präzision und Variabilität in Tempi und Lautstärke – so etwas nennt man »ausgefeilt«. Wenn Maiskys Bogen flink über die Saiten ging, blieb nur ein verzücktes Staunen.

Und Begeisterung, Festspielatmosphäre. Jetzt hätten gerne drei, fünf, acht … Zugaben folgen dürfen. Mit Johannes Brahms‘ »Lerchengesang« sagten beide für den Augenblick »Adé« – heute geht es bereits weiter.
Das Martha Argerich Festival findet noch bis zum 30. Juni statt. Für viele Konzerte sind noch Karten zu haben. Weitere Informationen unter https://www.elbphilharmonie.de/de/festivals/martha-argerich-festival/800 oder https://www.symphonikerhamburg.de/martha-argerich-festival/