Stefan Kordes im Dresdner Orgelzyklus
Der Gast am gestrigen Mittwoch in der Kreuzkirche war schon mehrfach in Dresden zu erleben. Stefan Kordes (St. Jacobi Göttingen) spielte nicht nur an den Orgeln der Kreuz- und Frauenkirche, er hörte dort auch mehrfach zu. Die Jehmlich-Orgel der Kreuzkirche gefällt ihm vor allem deshalb, weil man an ihr so vieles, von der Renaissance und dem Barock bis zur Neuen Musik, darstellen kann. Sein Instrument in Göttingen (erbaut von Paul Ott 1966, 2006 / 2007 renoviert und erweitert von Siegfried Schmid) ist ihr da sogar etwas ähnlich. Insofern schien das Programm »Barockes und Symphonisches« also »verbindlich« in bezug auf zunächst sehr unterschiedliche Begriffe.
Ohnehin gilt es ja nicht nur, ein Stück auf der Orgel zu spielen. Das von Stefan Kordes gewählte Wort darstellen deutet bereits an, daß dabei mehr stattfindet als daß nur Noten mittels eines Fingersatzes wiedergegeben werden. Und das beginnt bei der Wahl der Register und Klangfarben. Im letzten Stück des Abends, der Orgelbearbeitung eines Orchesterwerks von Franz Liszt, sollte sich das am eindrucksvollsten offenbaren. Stefan Kordes Werkannäherung ist wohl vom grundsätzlichen Umgang mit Musik geprägt, und der ist keineswegs eindimensional, denn der Organist ist zudem Chorleiter (Kantorei und Kammerchor von St. Jacobi), Pianist (bei Organisten selten) und Kammermusikpartner.
Für den Abend in Dresden hatte er sehr unterschiedliche Werke ausgewählt und in kleinen Gruppen zusammengefaßt. Von Dieterich Buxtehude und Johann Sebastian Bach ging er über zum französischen Repertoire, um schließlich mit Liszts (ungeheurem) »Prometheus« zu enden. Dabei ergaben sich manche Gegenüberstellungen. Etwa im Umgang mit Choralbearbeitungen oder Fugen. Und es zeigte sich sogleich (Buxtehude Praeludium e-Moll BuxWV 142), was Stefan Kordes gemeint hatte, als er von der Darstellung barocker Werke sprach. Filigranes Zierwerk lag ihm dabei ebenso wie chromatische Stimmungsbilder, die sich nicht erst in der Romantik finden lassen, sondern eben auch bereits bei Buxtehude.
Zwar erwiesen sich die Choralbearbeitungen als höchst unterschiedlich und einfallsreich, überragt wurden sie dennoch von den so großen Werken wie Johann Sebastian Bachs Passacaglia c-Moll (BWV 582) und vor allem dem Allegro g-Moll aus Charles-Marie Widor sechster Orgelsymphonie. Sie ist in manchem, strukturell und im choralähnlichen Thema, durchaus nahe bei Buxtehude oder Bach, in der Klangsprache jedoch um vieles weiter und schließt einen Schönheitsbegriff ein, der bei Bach fast undenkbar wäre.
Und doch überstrahlte das Über-Stück nicht die anderen Programmpunkte. So waren Nicolas de Grignys Trio en dialogue und Tierce en taille (aus der »Orgelmesse«) als kleine Fund- und Funkelstücke Bereicherungen und sorgten für weiteren flirrenden Farbzauber.

Gregorio Martínez y Espinosa »Prometheus mit dem Adler«, Prado, Madrid, Bildquelle: Wikimedia commons
Stefan Kordes ausgewogener Vortrag ließ jedem Werk den Raum, und so verblaßte das zuvor gehörte auch nicht vor dem prometheischen Gemälde Franz Liszts (Symphonische Dichtung »Prometheus«). Das stimmungsvolle Bild, das die Atmosphäre nachzeichnen soll, nicht die Erzählung, führte auf einen romantischen Höhepunkt, in dessen Nähe Richard Wagners »Tannhäuser« zu ruhen schien.
15. Juni 2023, Wolfram Quellmalz
Im nächsten Konzert des Dresdner Orgelzyklus‘ in der Kreuzkirche heißt es pünktlich zum Beginn des Hochsommers »Con fuoco – mit Feuer« (5. Juli, Gast: Paolo Oreni / Mailand).