Frische Luft und dänische Überraschung

Thomas Dausgaard bei der Dresdner Philharmonie

Thematisch und programmatisch spannte Thomas Dausgaard am Wochenende mit der Dresdner Philharmonie von Ludwig van Beethovens dritter »Leonoren-Ouvertüre« über Dmitri Schostakowitschs zweites Cellokonzert bis zu Carl Nielsens vierter Sinfonie einen weiten Bogen. Dabei konnte er gerade deshalb überzeugen, weil er die Spannung über die drei Stücke hielt und dem Publikum ohne Ermüdungserscheinungen noch eine Steigerung bot.

Hinsichtlich der Leonoren-Ouvertüren hatte Thomas Dausgaard mit der dritten (Opus 72b) eine sichere Wahl getroffen, ist es heute doch die beliebteste und am meisten gespielte Fassung. Mit einem Paukenakzent (der das Konzert quasi rahmen sollte) »legte« die Philharmonie aber nicht einfach nur los, sondern offenbarte binnen kurzem unterschiedliche Selenzustände. Verzagtheit folgte auf den selbstbewußten Beginn, später kehrte die Kraft wieder, von der Flöte (Marianna Julia Zolnacz) als Lichtbotin entfacht, und gipfelte in einem orchestralen Jubelchor.

Mit Dmitri Schostakowitsch folgte darauf zunächst pure Einsamkeit, doch blieb der Kämpfergeist und Freiheitsdrang immanent. Schon deshalb, weil Solistin Alisa Weilerstein die Gratwanderung zwischen kantabler Fragilität und beständiger Durchdringung beherrscht. Im Verhältnis hört man Schostakowitschs erstes Cellokonzert mit dem charakteristischen Beginn, welcher einem Fußabdruck des Komponisten entspricht, viel öfter. Das zweite war bei der Philharmonie zuletzt vor über fünfzig Jahren (!) erklungen. Spröde scheint es zuweilen, läßt Energie auf kalte Flächen prallen oder im Raum zerstieben. Thomas Dausgaard lotete die Sätze sorgsam aus, überließ Alisa Weilerstein exponierte Solostellen musikalischer Erregung, um sie dann wieder zu umfassen, schichtete Motivzüge und formte vor allem mit Schlagwerk und Bläsern Konturen, teils kantige Gegensätze. Dort, wo er zusammenführte, blieb immer eine Möglichkeit in Schostakowitschs trügerischer Klangwelt.

Das war nicht leicht, aber vieldeutig und raffiniert. Die Solistin bot am Sonntagmorgen, vom Publikum herzlich um eine Zugabe gebeten, noch eine Sarabande von dem, der auch Schostakowitschs Zuflucht war: Bach (aus BWV 1010).

Carl Nielsen mag Konzertbesuchern zwar weniger prominent erscheinen, doch die letzte Aufführung seiner vierten Sinfonie im Kulturpalast lag weniger lang zurück als bei Schostakowitsch – 2006. In Überschwang und Rhythmik schien sie fast ein wenig dort anzuschließen, wo Schostakowitsch aufgehört hatte, doch ist sie (bei vergleichbarer Vielschichtigkeit) eindeutiger und freudiger. Immer wieder trieben gerade die Blechbläser das Werk fröhlich an, formten im letzten Satz einen Chor. Bis dahin flocht Nielsen die Sätze teils eng, schien sogar eine »Szene am Bach« nachzuzeichnen. Effektvoll gestaltete Thomas Dausgaard die Soli (Violoncello / Ulf Prelle und Fagott / Daniel Bäz) sowie die Gegensätze im Orchester – mehrfach nahm Nielsen erste und zweite Violinen zusammen und setze die anderen Streicher gegenüber. Und er sorgte für eine Überraschung à la Haydn in London: Nicht mit einem Paukenwirbel, sondern einem ganzen Paukenduell endet seine vierte Sinfonie. Überraschend deshalb, weil (nach Partituranweisung) der eine Spieler (Oliver Millis) in Hemd, Jeans und Turnschuhen aus dem Publikum flugs auf die Bühne kam und sich zwischen die Kollegen im Konzertgewand mischte.

12. Juni 2023, Wolfram Quellmalz

Alle Sinfonien von Carl Nielsen gibt es seit kurzem mit dem Danish National Symphony Orchestra und Fabio Luisi bei der Deutsche Grammophon

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