Jaime Martín und Cellist Pablo Ferrández bei der Dresdner Philharmonie
Wie oft hat man das Stück und seine Geschichte nicht schon gehört? Antonín Dvořáks Cellokonzert ist einer der beliebtesten Klassiker und sorgte auch diesmal wieder für einen Publikumszustrom. Gerade solche Werke sind es aber, die – da man so viele Vergleichsmöglichkeiten hat – aufhorchen lassen, schnell offenbaren, was nur eben so »abgeliefert« wird oder wirklich inspiriert ist. Dirigent Jaime Martín und Cellist Pablo Ferrández sorgten am Sonnabend im Kulturpalast für eine der inspiriertesten Vorstellungen der letzten Jahre.
Dabei wurde die Frage, ob oder wie gut sich beide kennen, schließlich nebensächlich. Denn dritter im Bunde war schließlich das Orchester. Und hier war die Dreierkombination spätestens neu. Jaime Martín verstand es ausgezeichnet, die Partner aufeinander abzustimmen, und das ganz unauffällig. Kein hektisches Gestikulieren, kein forderndes Anweisen – Dvořáks Konzert schien wie von allein zu fließen. Pablo Ferrández nahm die Zuhörer mehr und mehr ein. Dabei war er gar nicht zum ersten Mal in der Region, aber so nach- und eindrücklich ist er bisher wohl noch nicht gewesen. Sein Spiel, sein Ton läßt sich wohl am treffendsten mit »nobel« bezeichnen. Klar, warm, samtig trat die Cellostimme hervor, konnte sich mit dem Orchester innig verbinden. Trotzdem war bestens zu verfolgen, was er spielte, wie sich sein Part wieder solistisch heraushob.
Wunderbar gefiel, wie Jaime Martín seinem Solisten den Raum gab, ein geschmeidiges Spiel zu entfalten. Gerade in den langsamen Passagen entwickelte sich eine suggestive Wirkung, einfühlsam und innig. Das Orchester blieb stets eng verbunden und in den Piani hörbar – hier verschwand einfach nichts! Auf der anderen Seite hob Jaime Martín die Kontraste mit hell flammenden Holzbläsern und warm schmeichelndem Blech (Horngruppe bei Dvořák von Sarah Ennouhi angeführt) hervor. Mit Konzertmeisterin Heike Janicke fand er zum kammermusikalischen Duett.
Die ausgewogen feine Interpretation gipfelte in einem facettenreichen letzten Satz. Den kennt man durchaus emotionaler. Die Verve führt dann allerdings leicht zu einem »Jammern« bei starkem Vibrato des Violoncellos. Auch das ist eine glaubwürdige Spielart, doch nach dem Wochenende liegt die verfeinerte Interpretation von Martín / Ferrández vorn. Sie zeigte im Schluß, dem Liedzitat als Reminiszenz an die schwerkranke Schwägerin des Komponisten vielleicht eine Metapher für den erlöschenden Herzschlag (Pauke) – mit dem Lied wird also der Tod überwunden?
Noch bei der Zugabe durfte man zweimal hinhören, denn Pablo Ferrández bot noch das traditionelle katalanische »El cant dels ocells« (Gesang der Vögel) in seiner noblen Fassung.
An das aufwühlende Stück schloß sich Jean Sibelius Sinfonie Nr. 5 (Es-Dur) an. »Kaltes, klares Wasser«, so hatte der Komponist einst selbst sein Werk beschrieben. Jaime Martín gab es mit der passenden Frische wieder. Während die Streicher für Strömungen sorgten, sprudelten darin Klarinetten (Fabian Dirr) und Oboen (Undine Röhner-Stolle) voller Munterkeit. Mit den Blechbläsern (Horngruppe jetzt um Michael Schneider) ging es auf ein weitreichendes Plateau.
Der zweite Satz entpuppte sich als Intermezzo, das ebenso dem kalten klaren Wasser entstiegen schien und in die Erhabenheit des schließenden Allegro molto überging. Sanft beginnend und mit Akkordschlägen eindrücklich einen Endpunkt setzend – nicht verwässert, sondern konturiert!
25. Juni 2023, Wolfram Quellmalz

CD-Tip: Pablo Ferrández (Violoncello) und Denis Kozhukhin (Klavier) »Reflections«, mit Werken von Sergej Rachmaninoff, Manuel de Falla, Enrique Granados und Pablo Casals, erschienen bei Sony