Mit Liebe und Temperament

Kammerabend der Staatskapelle feiert Ligeti und Bartók

Manchmal steckt in einem halben Kammerabend mehr als in einem großen Konzert – fast schon ein Portrait war das, was die Musiker der Sächsischen Staatskapelle am Donnerstag in der Semperoper boten. Natürlich faßt das »Portrait« bei einem Komponisten wie György Ligeti und dessen umfangreichen Œuvre viel zu kurz, blieben doch ganze Genre wie sein phantastisches Klavier- oder Vokalwerk ausgeblendet, die Ästhetik der sinfonischen Stücke ebenso. Aber nicht ganz – drang deren Klang doch hier und da durch.

Wie nahe instrumental und vokal bei Ligeti liegen können, zeigte schon seine Sonate für Violoncello solo, von Konzertmeister Sebastian Fritsch vorgetragen. Der wartete erst einmal ab, bis die Ruhe im Saal Raum ließ für Musik, holte mit der Bogenhand weit aus – und entließ mit dem ersten, angerissenen Ton ein Glissando ins Publikum, das sich fortan mit melodischen Konturen kreuzte. Zwischen Struktur und an Edward Elgar erinnernden romantischen Versatzstücken fand Sebastian Fritsch eine verblüffende Tiefenwirkung. Das folgende Capriccio konterkarierte dies fast – in wilder Jagd stürmte der Cellist bis ins Flageolett, dabei zeigte sich das frühe Werk noch sehr klassisch, prunkte mit einem erstaunlich expressiven, kultivierten Ton.

Hilma af Klint »Chaos, Nr. 2« (1906), Hilma af Klint Stiftung, Stockholm, Bildquelle: Wikimedia commons

In den Zehn Stücken für Bläserquintett forschten Bernhard Kury (Flöten), Volker Hanemann (Oboen), Christian Dollfuß (Klarinette), Thomas Eberhardt (Fagott) und Julius Rönnebeck (Horn) dem Experimentator Ligeti nach, dessen Stück wie Mussorgskis »Bilder einer Ausstellung« oder Jörg Widmanns Quintett für Klavier und Bläserquartett zwischen thematisch fokussierten, solistisch ausgeprägten und Tuttisätzen pendelt. Extremen, teils gewollt »schrägen« Tonmixturen stand ein phantasievoller Klang gegenüber, dessen Dichte bei nur fünf Spielern erstaunte. Ergötzlich blieb Ligetis Witz, der (mit identischer Satzbezeichnung) musikalische Situationen schuf, als sei das Quintett ein Flipperautomat, durch den eine Spielkugel katapultiert wird. (Und weil der Spieler »verliert«, darf er es im nächsten Satz gleich noch einmal versuchen.)

Das Trio für Violine, Horn und Klavier mit Tibor Gyenge, Zoltán Mácsai und Balázs Demény (als Gast), wiewohl an Johannes Brahms‘ Opus 40 angelehnt, suchte statt enger Umschlingung deutlich voneinander abgesetzte Pfade, was nicht hinderte, daß sich Duos fanden, gegenseitig Impulse gaben, oder das Horn einen Ton hervorbrachte, von dem man weder angenommen hatte, daß er so tief noch so leise gespielt werden könne!

Welcher Gegensatz war Béla Bartók Klavierquintett C-Dur mit Balázs Demény, Thomas Meining und Tibor Gyenge (Violinen), Holger Grohs (Viola) und Friedwart Christian Dittmann (Violoncello) nach der Pause! Oder doch kein Gegensatz? Denn Bartók machte deutlich, daß Volkslied, Romantik und Moderne nicht nebeneinander existieren, sondern miteinander einhergehen. Melancholie und Leidenschaft wie bei Brahms oder Schumann, kühle Flächen und süffiges Schwelgen (Adagio) vereinigten sich in einer Klangsinnlichkeit, aus der einmal die zweite Violine (bei Wiederaufnahme des Themas im ersten Satz), später die Viola (mit Dämpfer) hervortrat. Mit am großartigsten war, wie hier – sicht- und hörbar – fünf Spieler individuell zusammenwirkten und einen Klang woben. Der (Klang) war auch Ligetis Ziel, womit sich ein Kreis gewissermaßen schloß.

30. Juni 2023, Wolfram Quellmalz

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