Domorganist Sebastian Freitag spielte in Reinhardtsgrimma
Nicht nur wir Menschen stöhnen unter der Hitze, auch an einer Orgel geht sie nicht spurlos vorüber. Glücklicherweise bleibt sie (in der Regel) in sich stimmig, wird also nicht mißtönig und klingt »schief«, nur weil das Wetter sich ändert. Trotzdem hatten die Domorganisten Albrecht Koch (Freiberg) als Leiter der Konzertreihe und Sebastian Freitag als Spieler vor dem Konzert am Sonntag in der Kirche Reinhardtsgrimma noch einmal viel Stimmarbeit zu erledigen.
Doch es hat sich gelohnt – draußen war, ein Lüftchen und ein paar Wölkchen eingeschlossen, trotz großer Hitze schönstes Ausflugswetter, in der Kirche Reinhardtsgrimma erklang die kleine Silbermann-Orgel. Das Opus 32 von Gottfried Silbermann entstand über zwanzig Jahre vor dem im wesentlichen durch Zacharias Hildebrandt vollendeten Instrument der Dresdner Hofkirche, das heute Sebastian Freitags täglicher Arbeitsplatz ist. Für den Dresdner Domorganisten hieß es durchaus, sich auf andere Verhältnisse umzustellen, auch wenn er viele typische Merkmale wiederfand. Doch Größe, Zahl der Pfeifen bzw. Register und nicht zuletzt der Kirchenraum prägen den Klang eben wesentlich.

Vorabgespräch der Domorganisten: Interpret Sebastian Freitag (links) und Gastgeber Albrecht Koch vor der Silbermann-Orgel in Reinhardtsgrimma, Photo: NMB
Dies zu erforschen, sprich zu vergleichen, bot Sebastian Freitag gleich mehrfach Gelegenheit. Wiewohl Johann Sebastian Bach angeblich kein Silbermann-Freund gewesen sein soll, sind Werke wie Präludium und Fuge C-Dur (BWV 531) oder Toccata und Fuge E-Dur (BWV 566) für derlei Vorhaben geraten. Und hier zeigte sich wieder einmal, daß »Silbermann« und »Silberklang« nicht nur phonetisch nahe beieinanderliegen, sondern sich in der Musik vereinigen können. Etwas schlanker, ziselierter als an einem großen Instrument wirkten die Fugen, vor allem aus BWV 531, der mit ihrem geschwinden Fluß ein Perpetuum-mobile-Charakter innewohnte.
Wer an solchen geradezu mathematischen Strukturen sein Interesse findet, durfte sich am Schluß gleich doppelt freuen, denn an die Toccata schließen sich gleich zwei solcher Fugen an.
Den Kern des Programms bzw. das Mittelstück machten zwei Werke aus, die beide Charaktere nachzeichneten, aber höchst unterschiedlich waren und wahrgenommen wurden. Mit Johann Kuhnaus Biblischer Sonate Nr. 1 gab es ein echtes Entdeckerstück des Vorjahresjubilars, der als Kruzianer begann, in Leipzig Thomasorganist und schließlich -kantor wurde. Sebastian Freitag ließ die Bilder in Kuhnaus Sonate (das Zittern der Israeliten, die Streitworte Davids und Goliaths) musikdramatisch aufleuchten, verlieh ihnen klare Konturen.
Wie anders fallen die »Charaktere« des zeitgenössischen Komponisten Hans Uwe Hielscher aus, der Variationen über das Lied »Frère Jacques« verfaßt hat. Darin bleibt die Liedzeile nicht immer vordergründig, kommt manchmal »durch die Hintertür«, gibt sich versteckt zu erkennen, wandert vom Diskant in den Pedalbaß. Allerdings fragte man sich, wieviel Brüder Jacques denn nun habe – das neckische Stück geriet ein wenig zu lang, womit immer die Gefahr besteht, daß der Spaß albern wird.
Eine ganz andere Pretiose und Anregung bot davor Justin Heinrich Knecht, ein Zeitgenosse von Johann Adam Hiller sowie des universell wirkenden Christian Friedrich Daniel Schubart, mit dem er auch befreundet war. Neben einer Toccata in d-Moll erfreute vor allem ein Handstück im galanten Stil. Bei weitem keine Nebensächlichkeit! Ohnehin findet der galante Stil in den letzten Jahren wieder mehr Beachtung und Anerkennung, Sebastian Freitag entlockte (mit aufs Pedal übertragener Stimme) eine reiche kleine Erfrischung.
In dieser Art fiel außerdem die Zugabe aus, eine sehr freie und wohl persönliche (improvisierte) Fassung von »Geh aus, mein Herz«, mit dem die Besucher in die Sommerpause entlassen wurden.
17. Juli 2023, Wolfram Quellmalz
Nächstes Orgelkonzert in der Kirche Reinhardtsgrimma: 24. September, 16:00 Uhr, Angela Metzger (München) spielt Werke von Johann Sebastian und Carl Philipp Emanuel Bach, Jean-Pierre Leguay und anderen
http://www.reinhardtsgrimma.hiller-musik.de/programmorgel.html