Neue Jüdische Kammerphilharmonie in der Dresdner Frauenkirche
Die Neue Jüdische Kammerphilharmonie (NJK) bemüht sich seit ihrer Gründung nicht nur um das Werk jüdischer Komponisten, sie sorgt immer wieder dafür, daß diese lebendig präsentiert wird und in Erinnerung bleibt. Was manche Wiederbegegnung einschließt – neben solchen mit Werken (oder Musikern) auch mit Orten. Die Dresdner Synagoge wird derzeit saniert und steht für Veranstaltungen nicht zur Verfügung. Die Frauenkirche war am Sonnabend jedoch mehr als ein Ausweichquartier – sie liegt nicht nur geographisch in unmittelbarer Nachbarschaft, hier fanden (damals noch in der Unterkirche) in den 1990er Jahren bereits Veranstaltungen statt, als die Neue Synagoge in Idee und schließlich Realität entstand. Insofern war der Konzerttitel »Grenzenlos« berechtigt.
Die musikalische Entsprechung fand sich bei Werken von Marc Lavry, Felix Mendelssohn, Benjamin Britten und Franz Waxman, gleichzeitig spannte NJK-Leiter Michael Hurshell die große Spannweite seines Orchesters auf, das ohne Bläser allein auf Streicher setzte, mit einer Ausnahme: Franz Waxmans Sinfonietta für Streichorchester und Pauken am Ende.
»Al Naharot Bavel« (»An den Flüssen Babylons«), eine auf dem Psalmtext basierende Komposition von Marc Lavry, ist eines der erzählerischsten Stücke, obwohl vom ursprünglichen Text kein Wort gesprochen oder gesungen wird. Dennoch wurde der lebhafte Puls (Pizzicato), eine Gebetsstimme (Mittelteil) sowie eine versöhnliche Geste deutlich. Eine besondere Klarheit des Ausdrucks mit vielen schön ausgeformten Soli, gerade von Violoncello (Hans-Ludwig Raatz) und Violine (Konzertmeisterin Yoko Yamamura-Litsoukov), erreichet Michael Hurshell wohl auch dadurch, daß die Musiker sich weit im Altarraum verteilten.

Neue Jüdische Kammerphilharmonie Dresden, Photo: NJK
Den eigentlichen Nachteil dieses Platzes, etwas wie hinter einem Vorhang zu klingen, konnte dies trotzdem nicht immer kompensieren, vor allem schnellere Sätze verloren an Konturschärfe. Wie in Felix Mendelssohns Konzert für Violine und Orchester d-Moll, zwar posthum erschienen, jedoch das erste der beiden Violinkonzerte und kaum weniger erstaunlich (oder schön) als das zweite. Mit dem einundzwanzigjährigen Tassilo Probst stand der NJK ein sehr junger, jedoch virtuoser Solist zur Verfügung. Darüber hinaus überzeugte er in schlanken, lyrischen Passagen mit einem tragfähigen Ton. Der ruhige, zweiteilige zweite Satz wurde zum Erlebnis!
Leider halfen die »aus Nachhaltigkeitsgründen« (Frauenkirche) ausgegebenen verminderten Programmzettel (statt Heften) nicht, störenden Zwischenapplaus zu verhindern. Sie enthielten zwar die Stücke, nannten aber keine Satzfolge. Zudem dient ein hochwertiger Vierfarbdruck im Sonderformat wohl eher der Corporate Identity als der Nachhaltigkeit!
Wie schön, daß es letztlich um Musik und deren grenzenüberwindende Wirkung ging. Benjamin Brittens Simple Symphony erfreuten gerade in den mittleren Sätzen mit der dynamischen Gestaltung der Pizzicati und der Schönheit der »sentimentalen Sarabande«, bevor Franz Waxmanns Sinfonietta sozusagen einen Anschluß an Marc Lavry vollzog. Nicht nur in der Entstehungszeit (bzw. Lebenszeit der Komponisten), sondern auch darin, daß Waxmann ebenso einen menschlichen Laut (zweiter Satz: »Klage«) darin verborgen hat.
3. September 2023, Wolfram Quellmalz