Landschaften und die Feuerwehr

Herbert Blomstedt eröffnet Gewandhaussaison

Es war schon fast ein Zyklus im Zyklus – oder über dem Zyklus? Franz Berwalds dritte Sinfonie, die sogenannte »Singuläre«, spielte das Gewandhausorchester am Wochenende seit 2002 zum bereits dritten Mal. Was bei Brahms normal erschiene, ist bei einem Komponisten etwas außerhalb des Fokus‘ oder gängigen Klassik-Kanons auffällig. Mehr noch: der Dirigent hieß alle drei Male Herbert Blomstedt, womit er wesentlich zur Etablierung gerade dieses (lohnenden!) Werkes beitrug.

Kaum weniger lohnend und zur Etablierung beitragend darf man die Einführungsvorträge von Ann-Katrin Zimmermann nennen. Wo andere langatmig im wesentlichen das erzählen, was sie schon für das Programmheft geschrieben haben, gibt es bei der Leipziger Konzertdramaturgin etwas zu erleben, noch über possierliche Anekdoten oder pikante Details hinaus (was aber gerne dazugehören darf). Da werden zum lernenden Hörgewinn schon einmal Einspielungen bearbeitet, Bläser entfernt oder – bei Berwald – das österreichische Tatütata der Feuerwehr oder Polizei hineingeschnitten. Denn das, lernen wir, ist nicht nur tonal auffällig, sondern gegenüber dem deutschen auch noch rhythmisch prägnant. Genau genomen heißt es »ta-tüüü-ta-tü-ta-tü-ta-taaa!« Und genau ein solches Motiv hat Franz Berwald, mutmaßlich aus dem Erleben in seiner Wiener Zeit, als Material für seine Sinfonie verwendet. In der Einführung klang es, fröhlich modulierend in die Aufnahme geschnitten hinein, im Konzert dann, vom Orchester gespielt, bekam es eine besondere Note …

Innige Verbundenheit: Ehrendirigent Herbert Blomstedt (Gewandhauskapellmeister 1998 bis 2005) und das Gewandhausorchester, Photo: Gewandhaus zu Leipzig, © Konrad Stöhr

Am Beginn der Sonntagsaufführung (Freitag wegen der Saisoneröffnung und Rede des Demokratie-Konzertes war die Reihenfolge leicht anders) erklang aber Franz Schubert, der in diesem eigentlichen Schubert-Berwald-Zyklus seinem schwedischen Kollegen jeweils gegenübersteht. Die fünfte Sinfonie (B-Dur, D 485) schien nicht nur in sommerlicher Frische luftig mit den Motiven zu spielen (wie immer bei solchen Werken hatte Herbert Blomstedt 1. und 2. Violinen gegenüber aufgestellt), ihr Wiegen sorgte wie das Quartett der Holzbläser (führend: Flöte / Cornelia Grohmann) für Transparenz und lebendigen Schwung. Mit leichter Hand legte Herbert Blomstedt in den Mittelteilen der Binnensätze die Andantino-Stücke bzw. einen Allegretto-Abschnitt frei (im Allegro molto), woraus er eine Steigerung bis ins Finale gestaltete, die man treffend mit »jugendlicher Frische« beschreiben kann.

Gab es bei Schubert bereits viele (von Ann-Katrin Zimmermann aufgedeckte Tonart)überraschungen, ließ sich bei Franz Berwald nicht minder unerwartetes entdecken. Schon der Beginn der »Erinnerung an die norwegischen Alpen – Tongemälde für Orchester« – das sanfte Erwachen wandelt sich unvermittelt in Präsenz – ließ eindrücklich nordische, jedoch nicht kühle Motive wachsen. Mit einem kleinen, aber majestätischen Posaunenchor leuchtete Herbert Blomstedt sie aus.

Mit der dritten Sinfonie erreichte das »ta-tüüü-ta-tü-ta-tü-ta-taaa!« danach sozusagen Konzertreife, nun allerdings im unverändert sinfonischen Streichergewand. Aber vielleicht lautete die Zeile der Posaune auch »Geh‘ nicht zu weit«?

Das Gewandhausorchester überwand Klüfte und Grate, beließ die Konturen, soweit sie das Bild formten, nahm ihnen aber jede unangenehme Schärfe. Die Vehemenz der Pauken und vor allem Blechbläser war erstaunlich, energiegeladen, löste sich aber nie vom Korpus des Orchesters. Die Presto-Steigerung schien voller Leuchtkraft.

11. September 2023, Wolfram Quellmalz

Herbert Blomstedt setzt seinen Zyklus im Gewandhaus zu Leipzig am 4., 5. und 7. April nächsten Jahres mit den Sinfonien zwei (Franz Berwald) und vier (Franz Schubert) fort. Außerdem erklingt Franz Berwalds »Elfenspiel«.

https://www.gewandhausorchester.de/

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