Ensemble Inégal und Dresdner Kammerchor setzen Zusammenarbeit fort
Jan Dismas Zelenka ist in den letzten Jahren durch das Tätigsein verschiedener Künstler dem Vergessen entrissen worden. War der Name vor einiger Zeit noch nur Kennern innerhalb der Alte-Musik-Szene geläufig, erklingen die Werke des Böhmen, der ab 1710 Mitglied der Sächsischen Hofkapelle war und in den 1730er Jahren schließlich doch noch zum Hofkomponisten und Kirchen-Compositeur aufstieg, immer wieder in den Kirchen von Dresden – und von Prag. Adam Victora trägt mit dem 2014 gegründeten Zelenka-Festival das seine dazu bei, das neben einem konzentrierten Konzertwochenende in beiden Städten bereits 2015 ein Kolloquium beinhaltete. Der Dresdner Kammerchor wurde früh ein Partner des Prager Ensembles, am Sonnabend setzten sie ihre Zusammenarbeit fort. In der Dreikönigskirche gab es nach den Psalmi Vespertini I im vergangenen Jahr sozusagen folgerichtig die Psalmi Vespertini II also den zweiten Zyklus seiner Psalmvertonungen.
Wobei der Zyklus ursprünglich dafür gedacht war, an den jeweiligen Sonn- oder Feiertagen aufgeführt zu werden. Sie zusammen zu hören, betonte am Sonnabend jedoch nicht etwaige Wiederholungen (trotz des mehrfachen »Amen«-Abschlusses), sondern sorgte für einen ungemein geschlossenen Eindruck. Wer das Zelenka-Festival früher bereits besucht hat, wird bestätigen können, daß der Dresdner Kammerchor und das Ensemble Inégal über die Jahre immer mehr zusammenfanden, heute einen geschlossenen Korpus bilden. Wo früher manche richtige, exakte, aber leicht nüchterne Kühle zu spüren war, verbinden sich heute die vokalen und instrumentalen Stimmen, umfangen die Zuhörer, regen an und inspirieren. Das ist absolut mehr als angenehmer Wohllaut – ein atemvoller, emotionaler, inniger Ton!
Natürlich konnte man sich auf die Qualität der hervorragenden Solisten nicht nur freuen, sondern verlassen (nebenbei gesagt stammen sie ja zum Teil aus den Reihen des Kammerchores). Adam Victora sorgte für eine enge Bindung zwischen Lenka Cafourková (Sopran), Jaro Kirchgessner (Altus), Tobias Hunger (Tenor) und Martin Schicketanz (Baß), dem Chor und den Instrumentalisten. Gleich am Beginn (Dixit Dominus ZWV 68) zeigte sich Zelenkas Genialität, denn das helle, ruhige, mit Akzentpausen zwischen den Silben versehene Werk wandelt sich bald, führt ein Trio aus Sopran, Tenor und Baß zusammen, Jaro Kirchgessner sorgte darauf mit Brillanz für einen ersten Gipfelpunkt. Das im Vergleich dunkle Beatus vir (ZWV 76) war nicht weniger betörend.
Immer wieder sorgten die Solisten für wohlgesetzte Glanzpunkte, sozusagen gezielt mit fast opernhaften Koloraturen (Kirchgessner), melismatischer Dramatik (Hunger) oder mit stimmlicher Leuchtkraft – hell und strahlend bei Lenka Cafourková, mild und samten schimmernd bei Martin Schicketanz. Und doch waren ihre Partien nicht herausgestellt, denn Zelenka verwendete keine Arien in Strophenform, sondern fokussierte auf einzelne Zeilen, die sich mit den jeweils folgenden verbanden. Der oft vielfache Wechsel zwischen Solisten, auch im Duett oder Terzett, dem Chor (und zurück) gelang Adam Victorias unaufgeregt und mit glatten Konturen – da hätte er doch den Glockenschlag der Dreikönigskirche, der zufällig passend nach dem Magnificat (ZWV 107) einsetzte, ruhig abwarten können!
Der Dresdner Kammerchor (Einstudierung: Tobias Mäthger), immerhin derzeit mit sehr verschiedenen Programmen und abweichenden Besetzungen beschäftigt, bewies hinsichtlich Homogenität und Klang seine Spitzenposition, inclusive der Fähigkeit, sich auf musikalische Partner und einen Raum einstellen zu können. Vollkommen berechtigt durfte als Zugabe noch einmal das »Amen« aus ZWV 68 durchs Kirchenschiff jubeln. Und für das kommende Jahr darf man sich wohl auf die Psalmi Vespertini III freuen.
8. Oktober 2023, Wolfram Quellmalz

CD-Tip: Jan Dismas Zelenka: »Psalmi Vespertini II«, Ensemble Inegal, Prague Baroque Soloists, Adam Viktora, erschienen bei Nibiru