Bruckners Atem

Andrew Manze und die Dresdner Philharmonie retten den Abend im zweiten Teil

Vor drei Jahren hatte uns die Pianistin Cathy Krier mit ihren Atemübungen im Stück »Otmen« von Evangelia Rigaki mehr irritiert als bereichert, am Sonnabend wagte Annelien Van Wauwe mit der Bassettklarinette im Dresdner Kulturpalast einen ähnlichen Versuch. Wim Henderickx‘ vom Yoga inspiriertes Konzertstück »Sutra« für Bassettklarinette, Orchester und Elektronik konnte die Skepsis jedoch nicht beseitigen, sondern vertiefte sie nur noch mehr. Warum mußte das Soloinstrument auch noch verstärkt werden, so daß es nicht nur dominant, sondern teilweise schlicht (zu) laut tönte? Weshalb werden dem Konzertbesucher die von der Solistin gesungenen Passagen aus dem Sanskrit nicht als deutscher Text mitgegeben statt nur inhaltlich einordnend im Programmhefttext erwähnt zu werden? Haben sie keine Bedeutung (wozu dann singen)? Manche Frage zum Stück, auch aufführungspraktische, muß leider unbeantwortet bleiben, denn der Komponist des noch jungen Werkes starb überraschend 2022 mit nur 60 Jahren.

Bruckners Ankunft im Himmel, Scherenschnitt von Otto Böhler, Bildquelle: Wikimedia comons

»Sutra« bezieht sich auf einen Faden bzw. eine Kette, also zusammenhängende Elemente, wie Worte oder Symbole (vielleicht kann man den Rosenkranz in dieser Beziehung deuten). In der Vielfalt der Eindrücke erschloß sich aber genau ein solcher Sinn nicht, die Passagen schienen beliebig aneinandergehängt. Elektronische Einspielungen von sphärischen Rauschen und Rieselrohr sorgten für esoterisches Wabern – da fehlten nur die Räucherstäbchen. Oder anders: Läßt sich der Moment des Konzerts bzw. die Situation eines Konzertzuhörers, der keinen passiven, sondern höchst aktiven und konzentrierten Part übernimmt, überhaupt mit Yoga gleichsetzen? Der rhythmisch jagende Mittelteil von »Sutra« war zudem weder der Meditation noch der Konzentration des Geistes (Bezeichnungen der Binnensätze) zuzuordnen.

Die Zugabe von Annelien Van Wauwe, Kaija Saariahos »Blühend«, konnte diesen Eindruck kaum ausgleichen.

So war es fast, als würde das eigentliche Konzert mit Anton Bruckners Sinfonie Nr. 1 (c-Moll) erst nach der Pause beginnen. Andrew Manze, der uns zuletzt mit Beethoven VII begeistert hatte (https://neuemusikalischeblaetter.com/2023/06/21/dresdner-philharmonie-last-die-funken-fliegen/), bewies erneut ein Händchen für dramaturgische Verläufe. Mag sein, daß das einleitende Allegro anders ist als viele tremolierende Bruckner-Anfänge, es bleibt mit seinem Stapfen doch ebenso charakteristisch. Herrlich, wie die Dresdner Philharmonie im Tutti die Rampe bestieg, wie sich ein absteigendes Motiv froh – einem Lachen gleich – entfaltete (ähnlich wie in der sechsten Sinfonie). Von den Flöten bis zu den Kontrabässen reichte der Puls, der nach dem ersten Satz einen spontanen Zwischenapplaus auslöste.

Im zweiten spannten sogleich helle Streicher, Flöten und Klarinetten einen neuen Bogen auf. Bruckner ist ein kontrapunktischer Meister, der es versteht, polyphone Stimmen zu einem Idyll zu verweben. Spannung pur bot die Dresdner Philharmonie, ja einen Hexentanz (Scherzo), von Andrew Manze nicht nur angespornt, sondern fein ausgezirkelt aufs Plateau des letzten Satzes geführt. Ach, da hätte man sich doch noch eine weitere Coda für den dritten Satz gewünscht oder ein paar Fugen fürs Finale … Nur etwa fünfzig Minuten Bruckner – war das nicht zu wenig?

5. Fabruar 2023, Wolfram Quellmalz

In den kommenden beiden Tagen ist die Dresdner Philharmonie Gastgeber für den Auftakt des Dresdner Orgelzyklus‘ mit Olivier Latry und eines Kammerkonzertes mit Residenzkünstler Gautier Capuçon und Daniil Trifonov. https://www.dresdnerphilharmonie.de

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