Edgar Moreau und Markus Stenz beim MDR-Sinfonieorchester
Kennen Sie Jean-Féry Rebel? Nein? Dann gehören sie zu vielen! Selbst unter Musikfreunden, ja sogar unter Alte-Musik-Freunden, ist der Hofkomponist von Versailles, Maître de musique der Académie royale und Direktor des Concert spirituel in Paris kaum oder nur dem Namen nach bekannt. Gegenüber anderen französischen Komponisten wie Rameau, Lully, Philidor, Marais, Charpentier oder den Couperins ist er selbst bei Barockensembles unterrepräsentiert. Dabei war Rebel ein exzellenter Musiker und hinterließ mit der Simphonie nouvelle »Les elements« (1737) ein wohl schon damals spektakuläres Werk. Beim »Ballett ohne Worte« (anders als die damals üblichen Opern mit integriertem Ballett) handelte es sich um ein Werk, zu dem allein ein Ausdruckstanz gezeigt werden sollte. Die ursprüngliche Aufführung fand zwar nicht wie geplant statt, aber als Sinfonie oder Suite sind »Les elements« dennoch überliefert.

Das Werkbezieht sich auf die Elemente Wasser, Feuer, Luft und Erde und enthält Tanzsätze (Loure, Sicilienne …) wie in einer Suite. Im ganzen beschreibt es eine Schöpfungsgeschichte und beginnt – wie Haydn! – mit einem Chaos. Dieses wird mit sämtlichen Noten der d-Moll-Tonleiter dargestellt, die in einem Cluster gleichzeitig erklingen.

Früher braucht man für solche Musik Barockspezialisten, heute können sie – von kundiger Hand geführt – auch Musiker, die sonst überwiegend Sinfonien und Konzerte von Mozart bis zu Komponisten unserer Tage spielen, ohne weiteres und mit Genuß zu Gehör bringen. Markus Stenz erwies sich als offensichtlich kundig, das MDR Sinfonieorchester und Mechthild Winter am Cembalo als versiert – ein solch erregtes Chaos wie am Sonntagmorgen im Gewandhaus konnte man mit Vergnügen anhören! Nicht nur das – es ließen sich darin Momente der Auflösung finden. Standen die beiden Piccoloflöten vielleicht für Vogel- oder Himmelsstimmen, welche das Chaos umzuwandeln begannen? Dazu kam, daß der originär tänzerische Charakter erhalten blieb – wie schade, daß sich Dirigent und Orchester einzig auf diesen einen Satz beschränkten!
Nicht nur bedauerlich, schon verwunderlich war die Reihenfolge des weiteren Programms, denn die Sinfonie, immerhin doch die Königsgattung, steckte diesmal im Sandwich zwischen anderen Stücken. Dabei hätte gerade Wolfgang Amadé Mozarts g-Moll-Beitrag (KV 550) doch verdient, den Abschluß zu bilden. Erst am Donnerstag zuvor hatten wir die Sinfonie ebenfalls im Gewandhaus gehört. »Damals« (wenn man nach vier Tagen von »damals« sprechen mag) hatte Antonello Manacorda eine sehr wohlklingende, sinfonisch-moderne Auffassung präsentiert. Markus Stenz ging es deutlich pointierter an, orientierte sich mehr an der historischen Aufführungspraxis, ließ mehr Reibung zu. Vor allem die Bläser agierten unter seiner Leitung geradezu keck – eine Frische, die am Sonntagmorgen doppelt imponierte!
Daß Antonín Dvořáks Konzert für Violoncello und Orchester h-Moll (Opus 104) am Ende stand, war musikalisch nicht so verunglückt wie andere Programmänderungen, welche die NMB schon erlebt haben, denn Dvořák ist in seinen Konzerten ähnlich sinfonisch gehaltvoll wie Brahms. Daß der Solist am Ende aber warten mußte, bis auch die Orchestersolisten ihren Applaus bekamen und seine Zugabe (Bach, Sarabande) den Schlußpunkt setzte, war trotzdem gewöhnungsbedürftig.
Über jeden Zweifel erhaben dagegen blieb Edgar Moreaus Spiel. Das »Singen« auf dem Cello umfaßt bzw. bedarf vieler Attribute: einen kantablen Klang, ein schönes Legato, vor allem aber ein geradezu sängertypisches Vibrato. Der junge Cellist bot dies alles souverän und fand leicht mit dem Orchester zusammen. Solohorn und Klarinette korrespondierten mit ihm im Duett, die Blechbläser (Trompeten, Posaunen, Tuba) rundeten das »Bild« nach hinten golden ab.
Markus Stenz achtete nicht nur auf eine gute Verbindung zwischen Solist und Orchester, zwischen konzertanten und kantablen Passagen und den Kadenzen, er belebte auch hier das Werk mit dynamischen Kontrasten und teils überraschenden, aber im Ausdruck nachvollziehbaren Tempowechseln.
5. Februar 2024, Wolfram Quellmalz