Olivier Latry im Dresdner Kulturpalast zum Orgelkonzert
Der Name »Palastorganist« scheint zumindest in seinem Fall zu gering oder schnöde – Musiker solchen Formats tragen doch (auch in Konzerthäusern) eher das Attribut »Titular«. Olivier Latry durfte die Eule-Orgel des neuen Konzertsaales im Dresdner Kulturpalast 2017 nicht nur einweihen, er residierte seitdem schon mehrfach daran. Sein in dieser Saison einmaliges Konzert ließ vor allem einen Wunsch aufkommen: möge es wieder so sein! Denn Olivier Latry beherrscht nicht nur das Instrument, er weiß zudem sein Publikum zu bannen, durch Spiel ebenso wie durch Moderation. Man ist bei ihm in jedem Fall einer Bereicherung gewiß, egal, ob der Titularorganist von Notre-Dame de Paris nun etwas Neues im Sinne Modernes oder aus seinem aktuellen Programm präsentiert oder ob er zu einem früheren Programmschwerpunkt zurückkehrt, ein bereits einmal vorgeführtes Stück noch einmal spielt.
Am Mittwoch ließ Olivier Latry die Farben der Eule-Orgel sinfonisch und expressiv, aber auch in feinen Nuancen und impressionistisch leuchten – viel schöner als die bunte Saalbeleuchtung in metallischem Blau, giftigem Apfelgrün und anderen Tönen, deren tricolor am Ende höchstens symbolisch paßte.
Überwiegend spielte Olivier Latry zwar französisch-sinfonische Werke, doch blieb deren Couleur höchst unterschiedlich. Jean-Louis Florentz‘ Prélude aus »L’Enfant noir« spürte einem Märchenstoff pittoresk nach, glich zunächst einer modernen Filmouvertüre, spreizte sich aber zwischen Baß und expressiven Obertönen immer weiter auf. Pastoral begann die Aria von Jehan Alain – es war das letzte Orgelwerk des jung verstorbenen Komponisten. Olivier Latry ließ die Motivmodulationen vielfarbig wandern, wahrte bei erneut zunehmender Expressivität die Klarheit der Stimmen.
Mit Johann Sebastian Bachs Präludium und Fuge G-Dur (BWV 541) gab es im Mittelteil eine Rückkehr – dem Thomaskantor hatte der Titularorganist kurz vor dem Brand in Notre-Dame ein ganzes Album gewidmet. Das diesmal gespielte Werkpaar gehört zu Bachs freudigsten Orgelstücken.
Mit Louis Viernes Adagio aus der Orgelsinfonie fis-Moll und den Trois Préludes et Fugues Opus 7 von Marcel Dupré wurde es noch einmal französisch-sinfonischen, wobei gerade die Geschlossenheit verzauberte, und das nicht nur, weil Dupré dem mittleren Prélude et Fugues (f-Moll) einen Feenzauber oder das mystisch-geheimnisvolle Wesen von Irrlichtern einverleibt hatte. Vor allem überzeugte, wie Olivier Latry verschiedene Elemente verband, zur Synthese brachte, ohne daß sich Brüche offenbaren. Marcel Duprés Stücke mit ihren flammenden Akkorden (Prélude B-Dur) und den teils verspielt wirkenden, meisterlichen Fugues (B-Dur, g-Moll) entwickelten Sogwirkung, vermochten zu begeistern. Nicht zuletzt war das gesamte Werk (die anderen französischen Beiträge waren Einzelstücke oder Auszüge) für jene Orgelfreunde, für welche der Auftakt zum Dresdner Orgelzyklus kein einmaliges oder seltenes Erlebnis bleibt, ein besonders lohnendes Schmuckstück.
Vor Beginn hatte mancher gemutmaßt bzw. nachgerechnet, daß die im Programm stehenden Stücke zusammen weniger als eine Stunde Musik ergäben. Diese Sorge nahm Olivier Latry seinem Publikum – er hatte vergessen, eine Improvisation ins Programmheft schreiben zu lassen. Den Besuch des neuen Französischen Ministerpräsidenten Gabriel Attal in Deutschland nahm er zum Anlaß, frei über die beiden Nationalhymnen zu phantasieren. Mit dem Finale aus Alexandre Guillemets erster Orgelsonate kam das Hörerlebnis auf deutlich über eine Stunde, nach der Olivier Latry im Foyer noch lang Autogramme schrieb.
8. Februar 2024, Wolfram Quellmalz

Neueste CD mit Olivier Latry: »Francois Couperin Messe pour les Paroisses (pour les Fêtes solennelles)«, mit Olivier Latry (Große Orgel der Chapelle Royale de Versailles) und einem Vokalensemble, erschienen bei Chateau de Versailles Spectacles