Erdverbunden

Gedenkkonzert der Sächsischen Staatskapelle

Es war ein Faschingsdienstag wie in diesem Jahr, als 1945 die Dresdner Innenstadt zerstört wurde. Die beiden Dresdner Orchester, der Kreuzchor sowie viele andere Kirchen und Institutionen haben in den Tagen um den 13. Februar jeweils ein Gedenkkonzert in ihrem Programm, teils mit einem feststehenden Werk (beim Kreuzchor gehört Rudolf Mauersbergers Trauermotette »Wie liegt die Stadt so wüst« dazu) oder Kern.

Konzert zum 13. Februar, Tag der Zerstörung Dresdens, mit der Sächsischen Staatskapelle Dresden, Leitung: Chefdirigent Christian Thielemann, Photo: Sächsische Staatskapelle Dresden, © Matthias Creutziger

Die Sächsische Staatskapelle Dresden spielt zu diesem Anlaß ein Requiem, Stabat Mater oder vergleichbares Werk. Am Dienstag stand Johannes Brahms‘ »Ein deutsches Requiem« auf dem Programm. Neben dem Sächsischen Staatsopernchor wirkten die Sopranistin Julia Kleiter und Bariton Markus Eiche mit – er hatte den gleichen Part bereits im vergangenen November (Aufführung am Volkstrauertag) beim Dresdner Kreuzchor übernommen. Es war gleichzeitig eines der letzten Konzerte von Chefdirigent Christian Thielemann.

Es mag (vielleicht) emotionalere Requien geben (Verdi), mystischere (Mozart) oder liturgisch »korrektere« – Johannes Brahms ist das vermutlich menschlichste, nahbarste gelungen. Zwar hat er sich an Bibeltexten orientiert und eine Auswahl eigens zusammengestellt, jedoch ist es ihm geglückt, eine dezidiert konfessionelle »Formel« zu vermeiden. Seine Musik steht allein zwischen Mensch und Gott bzw. zwischen Mensch und Mensch.

Und sie birgt nicht weniger Emotion als Verdi oder Mystik als Mozart – Christian Thielemann und die Sächsische Staatskapelle offenbarten dem Publikum am Dienstagabend das Faszinosum Brahms. Zunächst nur mit tiefen Streichern, bekam man das Gefühl, diese Musik nicht nur zu hören – sie war geradezu körperlich nah, was strukturell an der formidablen Baßgruppe und der oft pulsgebenden Pauke lag. Nicht Trauer, eher ein »Seid-umschlungen«-Gedanke schien diesem Anfang innezuwohnen. Vor allem aber hat Brahms Gedanken und Gefühle sehr sacht eingeschlossen – die Staatskapelle, anfangs oft ohne die Violingruppen, klang dennoch hell, verblüffend auch die Bläser, die einmal als Betonung, dann wie ein Schatten die Sänger begleiteten oder für einen Nachhall sorgten.

Nachhall – für wen ist ein Requiem gedacht? Für die Toten oder doch mehr für jene Lebenden, die ihrer gedenken? Wohl – wie als Brücke – für beide. Christian Thielemann sorgte für eine starke, belastbare »Brücke« voller gestalterischer Konturen und Reliefs. Allein in den wiederholten Textzeilen lag oft mehr als eine Verdichtung oder Konzentration. Das »Selig sind« des Beginns wurde durch die Holzbläser aufgehellt, der mit viel Wärme beginnende zweite Abschnitt (»Denn alles Fleisch, es ist wie Gras«) fand mit Chor und Orchester in eine dramaturgisch ausgefeilte Steigerung. Der Sächsische Staatsopernchor, von André Kellinghaus vorbereitet, steuerte nicht nur zur Emotionalität bei, er schlüpfte zudem in unterschiedliche (Begleiter)rollen: für Julia Kleiter (»Ihr habt nun Traurigkeit«) war er Liedpartner, während er dem mit einer großartigen Diktion gesegneten Markus Eiche Nachhall gab. Für »Wie lieblich sind Deine Wohnungen« hatte er sich zu einem lyrischen Chorlied vereinigt, wogegen mit der Chorfuge (»Denn wir haben hie keine bleibende Statt«) ein vorläufiger Gipfelpunkt erreicht war. Er weist nicht auf eine Erkenntnis hin, vielmehr auf einen Zustand, der auch sinnlich erfaßt werden will – Christian Thielemann, dessen angemessene Tempi dem Text sehr zugute kamen, gewährte vor »Selig sind die Toten« den innehaltenden Moment und die andächtige Stille einer Generalpause.

Die Solisten sorgten mit ihrem feinen Timbre (Kleiter) und einer berührenden »Ansprache« (Eiche) für besondere, menschliche, schlichte Momente – der Liedgesang lag beiden nahe, das brauchte keine Überhöhung.

14. Februar 2024, Wolfram Quellmalz

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