Matthäus-Passion von Johann Theile in der Loschwitzer Kirche
Das Ensemble Ælbgut hat sich schon vielfach geistlichen Werken zugewandt, wovon auch die jüngste, wieder ausgezeichnete CD zeugt – für Johann Sebastian Bachs Johannes-Passion gab es einen Opus Klassik. Und im letzten Jahr wurde »Leipzig 1723« mit den Bewerbungskantaten um das Thomaskantorat der Preis der deutschen Schallplattenkritik zugesprochen. Noch interessanter als diese Aufnahmen war vielleicht das Programm des Quartetts und seiner Gäste, unter anderem vom Dresdner Barockorchester, am Sonnabend in der Loschwitzer Kirche.
Der Name Johann Theile ist heute kaum noch bekannt, wird von Vorgängern wie seinem Lehrer Schütz und Nachfolgern wie Bach überstrahlt. Dabei markiert Theile einen wichtigen Punkt in der Musikgeschichte und speziell auf der Wegstrecke der Passionsmusiken. Manches hatte er von Heinrich Schütz übernommen, zehn Jahre nach dessen Passionen (1664 nach Lukas, 1665 Matthäus, 1666 Johannes) ging er – abgesehen vom individuellen Stil – bereits weiter in der Formgestaltung, fügte Arien an zentralen Stellen ein und überarbeitete die Aufgaben des Chores. Manches davon fand sich (weitere sechzig Jahre später) bei Bach und sogar noch bei dessen Nachfolgern wieder.
Die »Paßions-Gedancken über die Historie von dem bittern Leiden und Sterben unsers Herrn nach Matthäus« von Johann Theile lassen schon in der Besetzung aufmerken: die Sänger wurden von zwei Gamben (Katharina Holzhey und Alma Stolte), Violone (Carsten Hundt) und zwei Violen (Margret Baumgartl und Lothar Haass, in diesem Fall tiefer gestimmten Violinen in Viola-Lage, um der Vorgabe zu entsprechen) begleitet. Das Continuo vervollständigten Stefan Maass an der Laute und Sebastian Knebel (auch Leitung) an der Orgel. Wobei sich zeigen sollte, daß der Begriff »Continuo« hier anders zu verstehen ist als sonst oder vielleicht gar nicht paßt. Vielmehr handelte es sich um eine variable Begleitung, bei der die Gamben (endlich einmal!) führende Rollen übernahmen, während das Ensemble der Barockmusiker insgesamt so eng verschmelzen konnte, daß es einem Consortcharakter entsprach!
Und auch auf Seiten der Sänger gab es manche Abweichung von den gewohnten Bach’schen Passionen. Zwar treten Personen wie Jesus, Petrus oder Caiphas auf, ihre Rollen sind aber bei weitem nicht so herausgestellt, wie dies später üblich wurde. Vielmehr hatte Johann Theile ein emotionaler Erzählfluß mit ausgeprägten Höhepunkten gesorgt. Darin eingeschoben waren vier jeweils zweistrophigen Arien mit konzertantem Zwischenspiel und teils doppelter, vielleicht ambivalenter Funktion: Meistens einen kontemplativen Punkt markierend schienen sie vergleichbar den sonst üblichen Chorälen, bargen eine Konklusion. Die Stimmbesetzung verband sie andererseits mit enthaltenen Rollen, wie in der dritten Arie (»Ach, wo soll ich mich hinwenden«), die András Adamik im Anschluß an seinen Petrus-Text vortrug. Dezidiert Choräle waren die Arien dennoch nicht, hatten auch keine diesbezügliche Vorlage. Trotzdem wohnte mancher ein entsprechender Gestus inne (etwa »Meinen Jesum laß ich nicht«).
Ein wesentlicher gestalterischer Anteil lag beim Evangelisten, der durch die Akzentverschiebung in der Erzählung nicht nur zwischen dramatischen Arien und Chören die Handlung fortführen, sondern selbst die Dramaturgie herstellen mußte. Mirko Ludwig (kurzfristig für Florian Sievers eingesprungen) gelang dies berührend schön mit lyrischem Ausdruck und theatralen, fast opernhaften Höhepunkten. Isabel Schicketanz (Sopran) belebte nicht nur die kurzen Rollen, sondern vor allem die Arien mit atemvollem Glanz als gläubige Seele. Stefan Kunath (Altus) und Martin Schicketanz (Baß) von Ælbgut sowie Friederike Urban (Sopran) vervollständigten das Ensemble, das gleichzeitig als Chor auftrat.
Neben der hervorragenden Verständlichkeit war vor allem die ausgefeilte Emotionalität berückend. Das kam so gut an, daß die dezidierten Pausen nach den Arien oder nach Einbrüchen in der Handlung (Zagen der Jünger, Ergreifung Jesu, Kreuzigungstod), da sie den Erzählfluß unterbrachen, etwas zu häufig bzw. das Betonungsmoment unnötig groß schien.
10. März 2024, Wolfram Quellmalz

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