Rückblick 2: Wilfried Krätzschmar

Begegnung mit dem Komponisten in Gespräch und Werk

Schon am Dienstag verganger Woche hatte die Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB) in ihrer Veranstaltungsreihe einen weiteren Blick ins Archiv der zeitgenössischen Kompositionen gewährt und wenige Tage vor dessen 80. Geburtstag (23. März) den Dresdner Komponisten Wilfried Krätzschmar eingeladen. Im Gespräch (Moderation: Barbara Wiermann) saß er Ekkehard Klemm gegenüber, der heute eine Professur für Orchesterdirigieren an der Musikhochschule innehat, früher ein Schüler des Komponisten war.

Wilfried Krätzschmar, Photo: © Klaus Michael

Die Gegenüberstellung war insofern interessant, daß sie einerseits den Wandel der Lehrer-Schüler-Beziehung dokumentierte und zeigte, welche Inspiration ein Lehrer wie Wilfried Krätzschmar sein kann, andererseits verbinden sich die Lebensläufe beider nicht zuletzt ganz konkret in einer Reihe von Werken und (Ur)aufführungen – was bis heute andauert. Denn Ekkehard Klemm sorgt mit seinem jetzigen Orchester, der Elbland Philharmonie Sachsen, immer wieder für Ur- und Wiederaufführungen zeitgenössischer Kompositionen. Zuletzt standen die ersten Teile des Zyklus‘ »Über das Verbrennen von Büchern« für Bariton und Orchester (UA, nach Texten von Erich Kästner) auf dem Programm, für das Jahresende ist die Wiederaufführung einer Sinfonie geplant.

Solche hier geradezu typischen Aktivitäten führten unmittelbar zur Frage, warum bzw. Feststellung, daß DDR-Komponisten oft übersehen wurden und werden. Während an den ostdeutschen Musikhochschulen die westdeutschen Komponisten ganz selbstverständlich aufgeführt werden, passiert das umgekehrt gar nicht oder nur ausnahmsweise, wie Barbara Wiermann feststellte – bis heute.

Und trotzdem gibt es selbst hier große Unterschiede: Die mittlerweile gängige Praxis von Kompositionsresidenzen sieht Ekkehard Klemm durchaus zwiespältig, da sich doch die großen Orchester auf große Namen konzentrieren, womit die noch zu entdeckenden ostdeutschen (oder dezidiert DDR-)Komponisten wieder übergangen werden. Der Vergleich seiner Arbeit mit der Elbland Philharmonie und an den Landesbühnen Sachsen ist nachvollziehbar, obwohl die dabei plötzlich spürbare Bitterkeit überraschte – warum? Der sonst so optimistische Initiator kann doch auf zahlreiche Erfolge blicken!

Ebenso wie Wilfried Krätzschmar, der Erfolg und Mißerfolg bzw. die Reaktionen von Musikern, Funktionären und Publikum, welche den Erfolg letztlich »meßbar« machen, kennenlernte. Und auch da blieb es zwiespältig, denn einerseits sorge ein Skandal für einen Karriereschub (weil er Aufmerksamkeit verursacht), wie Wilfried Krätzschmar erzählte, andererseits könne er – zumal in der Zeit vor der Wende – Folgen haben, wie Aufführungsbeschränkungen, wenn nicht gar -verbote.

Der Abend offenbarte viele Ambivalenzen, woraus folgt, daß es immer wichtig ist, wie man mit den Dingen oder ihren Folgen umgeht, umzugehen versteht. Tradition zum Beispiel, hatte Wilfried Krätzschmar schon zu Beginn erklärt, sei für ihn ein »Rucksack«, aber einer mit Rüstzeug, der für Inspiration sorge, und keine Last. Es bestätigt sich: Das Entstehen von Werken ist niemals unabhängig, kein in der »Blase« ablaufender Prozeß. Schon deshalb nicht, weil sich niemand unabhängig und unbeeinflußbar zurückziehen kann. Manche Einflüsse werden sogar konkret, so habe er in einer Sinfonie auch schon einen Aufschrei formuliert, erklärte Wilfried Krätzschmar.

Daß jedoch selbst die experimentellste Form nicht beständig in die Atonalität, in Schreie und immerwährende Dissonanzen führt, zeigen die Werke von Wilfried Krätzschmar. Viele werden seine durchdachten, in vielen Fällen ausgesprochen schönen Introitus für den Dresdner Kreuzchor erlebt haben, die im vergangenen Schuljahr zur Aufführung kamen. Zum Gesprächsabend forschten die Bläser von emBRASSment mit den Etüden »Sternentöne« den Raum aus: gruppiert, stern- oder kreisförmig standen sie im Raum, einmal gar ohne Sichtkontakt zueinander. Wer mochte, konnte zudem in Notenmaterial des Komponisten Einblick nehmen, das in Vitrinen ausgestellt war.

28. März 2024, Wolfram Quellmalz

Im nächsten musikalischen Programm des SLUB-Veranstaltungsangebotes steht am 2. Mai der Komponist Juro Mětšk im Mittelpunkt. https://www.slub-dresden.de/

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